Handmade Moments: Ein schmackhaftes, musikalisches Gumbo

Verfasst von Pati

Ich war nie der Outdoor-Typ. Vor ein paar Jahren habe ich mit dem Wandern angefangen und mittlerweile liebe ich es, an Wochenenden oder idealerweise innerhalb der Woche ins Auto zu springen, Richtung Alpen zu fahren, nach ein paar Stunden Marschieren auf dem Gipfel irgendeines Berges zu stehen (dessen Namen ich mir nie merken kann, aber ich bin ja nicht zum Gipfelsammeln da) und den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Nirgends fülle ich meine durch den täglichen Trott entladene Batterie so nachhaltig auf wie in der Natur. Trotzdem waren Zelten oder ein Trip im Wohnmobil für mich undenkbar. Ich konnte mir eine Reise ohne ein richtiges Bett und eigene Dusche, sprich ein wenig Komfort, absolut nicht vorstellen. Und jetzt sitze ich vor einem Campervan in Lettland mit Blick auf einen kleinen See, bin ungeschminkt, habe wirres Haar und fühle mich einfach prächtig und vollkommen frei. 

 

Doch in diesem Artikel soll es gar nicht um mich und meine neu entdeckte Freiheit gehen, sondern um eine Band, die ich nun viel besser verstehen kann, als das noch vor ein paar Monaten der Fall gewesen wäre. Musik findet einen einfach immer zur richtigen Zeit. Handmade Moments hätten keinen besseren Moment wählen können, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Handgemacht steht für etwas Ursprüngliches, das ohne die modernen Technologien auskommt, die uns immer mehr von der Natur entzweien. Etwas, das nicht künstlich sondern kunstvoll ist, mit Liebe zum Detail und Leidenschaft erschaffen wird. Keine Massenware, sondern wertvolle Einzelstücke. Momente sind etwas Flüchtiges und fangen ganz besondere Stimmungen ein. Glück ist auch nie etwas Dauerhaftes, sondern meist nur ein kurzer Augenblick. 

 

All das hört man der Musik von Anna Moss und Joel Ludford an. Die beiden sind Landeier aus Arkansas und trafen sich, als Joel noch zur Schule ging und Anna gerade den Sprung aufs College getan hatte. Landeier meine ich durchaus liebevoll, denn ich selbst komme aus einem knapp 2.000-Seelen-Dorf und weiß, dass dort nicht nur Menschen leben, deren Horizont so begrenzt ist, wie die Anzahl seiner Einwohner. Zuerst taten sie sich mit vier anderen Musikern als Funk-Folk-Band Don’t Stop Please zusammen, bevor sie sich 2014 als Handmade Moments neu formierten.  Im selben Jahr veröffentlichten sie noch ihr selbstbetiteltes Debütalbum unter neuem Namen. Ab da kehrten sie der Kleinstadt den Rücken, tourten ausgiebig und fanden so etwas wie eine zweite Heimat im fernen Argentinien. 

 

Dieses Land tat es ihnen so sehr an, dass es Ziel eines abenteuerlichen Vorhabens wurde: In einem umgebauten Van mit solarbetriebener Bühne auf dem Dach wollte das Duo von den USA bis ins südliche Amerika fahren, zwischendurch für spontane Gigs anhalten und so quasi als neuzeitliche, umherziehende Minnesänger und Spruchdichter seinen Lebensunterhalt bestreiten. Spruchdichter unterscheiden sich übrigens von Minnesängern, die sich ausschließlich mit dem Vertonen von Liebeslyrik beschäftigten, dadurch, dass sie das Zeitgeschehen kritisieren und zu ethisch richtigem Handeln auffordern. Beides findet sich im Liedgut von Moss und Ludford wieder. 

 

 

Ohne mit dem erhobenen Zeigefinger vor unserem Ohr herumzuwedeln, zeigen sie auf, was in unserer postmodernen Welt so alles nicht stimmt. Besonders die Zeile „The world was made by working people not the evil banker man“ („Bubblin’ Water“ auf „Handmade Moments“) könnte treffender nicht sein. Zugegeben, stellenweise sind die Texte recht plakativ und muten sogar etwas naiv an, aber so versteht es auch der einfache Mann, den subtilere Lyrics vielleicht überfordern würden. Auch das meine ich wieder ganz anders, als es vielleicht klingt: Die Naivität ist die reinste Art der Authentizität. Es gibt nichts Ehrlicheres. Und gerade das ist es, durch das Handmade Moments sofort meine Zuneigung gewonnen haben. Bei all dem Schein, dem Seinwollen und dem Künstlichen, von dem wir jeden Tag umgeben sind, tut es gut, einfach mal etwas so Reines zu hören.

 

Diese Ausrichtung hat sicherlich viel mit den Persönlichkeiten von Moss und Ludford zu tun, doch sie wird auch bedingt durch die musikalische Tradition, in der die beiden stehen. Um diese zu finden, müssen wir ins erste Drittel des letzten Jahrhunderts reisen, zu den Anfängen der amerikanischen Populärmusik. In den 1920er Jahren war die Technik zur Aufzeichnung von Tonaufnahmen auf einem Stand angekommen, der es ermöglichte, sie kommerziell nutzbar zu machen und das Medium Musik aus dem Theater und der Music Hall, wo es bis dahin hauptsächlich dem Publikum präsentiert worden war, in die amerikanischen Haushalte zu bringen. Um diese neue Einnahmequelle möglichst optimal zu nutzen, sandten die großen Musikverlage von der sogenannten „Tin Pan Alley“ in New York Talentsucher in alle Teile der USA, wo diese geeignete Musiker aufspüren sollten, die sich vermarkten ließen. 

 

Besonders in den Südstaaten, wo sich der von der schwarzen Bevölkerung dominierte Ragtime und seine Ableger der Blues und Jazz entwickelt hatten, stießen sie auf eine wahre Goldgrube. Die erste Blues-Schallplatte der Sängerin Mamie Smith verkaufte sich so gut, dass in der Folge dieses Genre in noch heute typischer Manier gemolken wurde. Doch auch volkstümliche Musik der weißen Bevölkerung, die besonders irische und englische Wurzeln hatte, erfreute sich bald großer Beliebtheit. Die Texte waren einfach und sehr bodenständig. Es wurde darüber gesungen, was einen im Alltag eben so beschäftigte. In den abgelegenen Bergregionen der Appalachen entdeckten die Talent-Scouts unter anderem die Carter Family, die zu den ersten Stars der Country-Szene werden sollte. Handmade Moments bedienen sich bei beiden genetischen Zweigen der amerikanischen Populärmusik und schmecken diesen Fond mit kleinen Prisen Hip-Hop, Rock und weiteren klanglichen Gewürzen ab.

 

Ihr Einsatz von Instrumenten ist ähnlich breit gefächert: neben der typischen Kombination aus Gitarre und Schlagzeug hört man auch Kontrabass, Mandoline, Saxophon, Klarinette und Tuba. Nicht aber Synthesizer oder computergenerierte Sounds. Alles wirklich handgemacht und klassisch-analog. Auf diesem musikalischen Gumbo ist Anna Moss’ Stimme das Häubchen aus Sour Cream: Sie erinnert an das Soulige von Amy Winehouse, jedoch ohne deren melancholischen Unterton.

 

„Aber was wurde denn nun aus dem geplanten Trip nach Argentinien?“,  den ich weiter oben angeteast habe, wird sich der aufmerksame Leser schon eine Weile fragen. Wie so oft im Leben kam es anders als geplant und das mit voller Wucht. Als die beiden 2016 mit zwei Freunden in ihrem mobilen Zuhause auf dem kalifornischen Highway zu einem Auftritt unterwegs waren, kollidierten sie frontal mit einem LKW und einem SUV. Insgesamt forderte der Unfall acht zum Teil schwer Verletzte. Joel kam auf die Intensivstation, Anna mit einer Gehirnerschütterung davon. Der Van, den das Duo in mühevoller Kleinarbeit über ein Jahr umgebaut und ausgestattet hatte, und ihre Instrumente waren nicht mehr zu retten. Ihre gesamte Lebensgrundlage - zerstört innerhalb eines Wimpernschlages. Annas nüchterne Bewertung der Situation: „Wen juckt’s. Wir sind alle noch am Leben.“ 

 

Und eigentlich war es auch nicht ihre gesamte Lebensgrundlage: Sie hatten noch ihre Musik. Die spielte im Heilungsprozess eine entscheidende Rolle. Moss und Ludford zogen sich zur Genesung nach Nevada City zurück und arbeiteten dort an ihrem aktuellen Album „Paw Paw Tree“, das am 21. Mai dieses Jahres veröffentlicht wurde. Dass sie ihre Leichtigkeit und Lebensfreude nicht verloren haben, sondern im Gegenteil noch richtig schön albern sein können, beweisen sie im Video zur ausgekoppelten Single „Where Do You Find The Time“:

 

 

Und wer jetzt Lust bekommen hat, die beiden und ihre Musik noch näher kennenzulernen, hat Glück, denn das Duo kommt bald auf ausgiebige Deutschlandtour: 

 

 

Was ich so gehört habe, sollen sie auch live ein Feuerwerk an guter Laune zünden, also lasst euch das lieber nicht entgehen!

 

https://www.handmademomentsmusic.net

https://www.facebook.com/handmademomentsmusic/

https://www.instagram.com/handmademomentsmusic/?hl=de