Circa Waves: Gitarrenrock ist tot. Es lebe der Gitarrenrock!

Verfasst von Pati am 30/04/17

Circa Waves sind eine Band, die man definitiv im Auge behalten sollte. Ins Ohr schummeln sie sich schon ganz von selbst mit ihrem dynamischen, von dreckigen Gitarren getriebenen Rock-Sound. Wer auch immer das Gerücht verbreitet hat, Gitarrenrock sei tot, Sänger Kieran Shudall und seine Mitstreiter spucken es ihm durchgekaut und halb verdaut vor die Füße. Mit ihrem zweiten Album im Gepäck, haben die vier uns vor Kurzem einen durchaus erfolgreichen Besuch in Deutschland abgestattet. CWLM hat sich mit dem Frontmann über Bierduschen in Schottland, die tollste Stadt der Welt (Liverpool) und die Hausaufgaben von Musik-Eleven ausgetauscht.

 

Wie läuft die Tour bisher so?

Ziemlich gut! Wir haben nur noch zwei Konzerte vor uns und waren fast fünf Wochen unterwegs. Es ist die größte Tour, die wir bisher in Europa gemacht haben. In jeder Stadt kamen immer ein paar Leute mehr. Wir haben viel getrunken und viel Rock’n’Roll gespielt.

 

Klingt gut!

Kann mich nicht beklagen. (lacht)

 

Ich hab euch letztes Jahr auf dem Neighborhood Festival in Manchester gesehen. Da ging es ja ab!

Wo war das noch mal?

 

In der Albert Hall.

Ah ja. Das war super!

 

Was du mir jetzt mal erklären musst, ist das englische Publikum: Wir standen auf der Empore und da hat ein Typ seiner Freundin gezeigt, wie man seinen vollen Bierbecher richtig wirft. Wir waren echt froh, dass wir nicht unten standen.

(lacht) Ich glaube, manche Leute machen das, um den Bands zu zeigen, dass sie sie gut finden. Aber andere wollen einfach nur ihr Bier nach anderen werfen, um Spaß zu haben. Es passiert nicht bei jedem Konzert, aber bei vielen im Norden Englands, wie in Manchester oder in Glasgow. Wenn man in Glasgow spielt, weiß man, dass man eine Bierdusche bekommt. Aber das ist nicht weiter tragisch.

 

Also, packt eure Regenmäntel ein!

Ja, wir decken immer unsere Pedale mit Plastiktüten ab.

 

Aber in London hab ich das auch schon erlebt, als ich mir The Enemy angesehen hab. Da sind sie sogar aufeinander losgegangen.

Ja, manche können schon ganz schön aggressiv werden. Für sie ist das wie ein Ventil. Sie waren die ganze Woche in der Arbeit, hören die Musik, jemand stößt gegen sie und dann geht’s ab. Aber meistens hat sich das innerhalb von ein paar Minuten. Dann umarmen sie sich und sind wieder beste Freunde. Musik bringt manchmal die gute Seite in Menschen zum Vorschein, aber manchmal eben auch die aggressive.

 

Ja, sie löst jede Menge Emotionen aus. Euer neues Album „Different Creatures“ ist jetzt schon fast zwei Monate draußen. Bevor es veröffentlicht wurde, warst du sehr zuversichtlich, dass die Leute in euch ab jetzt „die Zukunft der Rockmusik“ sehen würden. (Kieran lacht)  Wie waren denn die Reaktionen bisher?

Großartig! Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, dass wir so tolles Feedback bekommen. Es gab einige gute Kritiken. Ich wollte unbedingt ein Album machen, dass kommerziell funktioniert. Unsere Fans sollten es mögen, aber es sollte auch von Leuten gehört werden, die uns vielleicht etwas kritischer sehen und dann erkennen, dass da einige echt gute Lieder dabei sind. Sie sind einfach gut geschrieben. Wir haben über jedes Detail nachgedacht, über jeden Moment und jeden Teil eines Songs. Ich bin echt happy, dass die Reaktionen so gut ausfallen. Seit das Album rausgekommen ist, wurden wir für die großen Festivals wie Glastonbury, Reading, Leeds, das Trnsmt Festival und das Bestival gebucht. Es geht also in die richtige Richtung.

 

Dass aus euch etwas werden könnte, dachte ich mir schon beim ersten Album. Das war in meiner Party-Playlist auf Spotify und jedes Mal, wenn ein Lied davon kam, dachte ich: „Das sind doch die Strokes! Aber von welchem Album ist das denn? Nein, das können nicht die Strokes sein....“

Stimmt, das erste Album war etwas strokesy.

 

Ist es spontaner entstanden als das aktuelle, bei dem ihr alles bis ins Kleinste ausgefeilt habt?

Das erste Album haben wir in recht kurzer Zeit geschrieben, in so zwei, drei Monaten. Ich habe den Song „Young Chasers“ rausgebracht, dann haben wir direkt einen Plattenvertrag bekommen und sollten ein Album machen. Ich dachte: „Shit, jetzt muss ich noch ein paar Lieder schreiben.“ Deswegen stecken hinter vielen von ihnen ähnliche Ideen und sie haben diesen New-York-Garagensound. Vor dem aktuellen Album waren wir erst mal zwei Jahre auf Tour und ich hatte Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, was ich als Nächstes machen wollte. Es sollte etwas sein, das mir mehr bedeutete und aus dem Menschen mehr Sinnhaftes für sich rausziehen konnten. Es sollte mehr Biss haben und vielleicht auch wütender sein.

 

So klingt es auch. Und es ist kritischer, was die Gesellschaft, Social Media und die Politik betrifft. In dem Title Track „Different Creatures“ sprichst du die Einwanderungspolitik der Regierung an. Jetzt mit dem Brexit wird sie möglicherweise noch restriktiver und es werden noch weniger Ausländer nach England einwandern. Wie stehst du dazu?

Es ist echt eine Schande. Leute aus unserer Generation, in ihren 20ern oder 30ern, wollen keine Grenzen. Wir wollen alles offener und freier gestalten und Menschen eine Heimat bieten, die ihre verlassen mussten, weil sie dort ausgebombt wurden. Sie müssen schließlich irgendwo leben. Man kann sie doch nicht einfach abweisen. Großbritannien ist riesig! Wir nutzen nur 4% der Fläche. Es gibt so viel Platz. Die Leute denken, dass Einwanderung etwas Schlechtes ist, aber das stimmt nicht. Andere Länder haben bewiesen, dass sie ein Land sogar erfolgreicher und wohlhabender machen kann. Die Propaganda, die die Konservativen betreiben, so von wegen „diese Leute kommen und nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg“, ist kompletter Scheiß. Ich bin zwar nicht wahnsinnig politisch, aber aus menschlicher Sicht ist es doch ganz klar, dass wenn man jemanden leiden sieht und er Hilfe braucht, wir sie ihm geben sollten. So einfach ist das. Mit dem Song wollte ich nur sagen: „Schaut, was da gerade abgeht.“

 

Das Cover des Albums ist ziemlich verstörend und ein bisschen gruselig. Da sind diese beiden Augen, die wie Blumen auf Stängeln stehen, blutunterlaufen sind und in verschiedene Richtungen schauen. In der analytischen Psychologie symbolisiert das Auge das Bewusstsein und die Erkenntnis. Soll das im übertragenen Sinne heißen, dass du das hässliche Gesicht der Welt gesehen hast und nun weißt, wie sie wirklich ist?

(lacht) Das ist eine tolle Interpretation! Ich weiß nicht... Ich glaube nicht, dass es so tiefgreifend ist. Ich mochte immer schon Augen als Gegenstand der Kunst. Wir wollten die Verbindung von zwei Dingen: Das Auge auf dem Stängel, symbolisiert die Verwandlung in eine andere Kreatur. Der Designer kam zufälligerweise mit diesen zwei blutunterlaufenen Augen an und wir alle dachten nur: „Das ist verdammt cool!“ Es ist also viel simpler. Aber vielleicht bedeutet es auch unterbewusst, dass wir als Band Dinge viel bewusster wahrnehmen und darüber nachdenken.

 

Das Cover könnte fast schon Kultcharakter bekommen.

Wir wollten etwas, dass sehr einfach und ausdrucksstark ist. Auf dem Handy sieht man das Artwork von einem Album nur ganz klein, deswegen wollten wir etwas, bei dem die Leute beim Durchshutteln direkt wissen: Das sind die Circa Waves.

 

Eins der Lieder, „Love’s Run Out“, erinnert mich an eine andere, sehr bekannte Band aus Liverpool... (ich warte...)

Hm... Die Beatles?

 

Genau. Ist es als Hommage an sie gedacht?

Die Akkorde klingen wahrscheinlich sehr nach den Beatles. Es ist nicht wirklich eine Hommage, aber es ist schon sehr von John Lennons Akkordabfolgen beeinflusst. Es ist wohl der Song, der am meisten nach Liverpool klingt.

 

Das dachte ich auch.

Ich hab ihn vor ein paar Jahren für meine Freundin geschrieben. Ich fand ihn immer schon toll. Es ist interessant, wenn man „ich liebe dich“ mal auf ganz andere Weise ausdrücken kann, wie: „Ich liebe dich, bis unsere Liebe zu Ende geht.“ Das Lied lag mir schon immer sehr am Herzen und ich hab mich echt gefreut, dass es auf das Album gekommen ist.

 

Du wohnst noch in Liverpool, aber der Rest der Band lebt in London. Warum ziehst du nicht auch da hin?

Ich?! Weil ich Liverpool liebe! (lacht) Da komm ich her und ich würde nie irgendwo anders hinziehen. Vielleicht für ein paar Monate, um etwas Neues kennenzulernen, aber ich habe mir in Liverpool ein Haus gekauft, sobald ich mir das leisten konnte. Ich bin in der Welt rumgekommen und habe fast jede Großstadt gesehen, aber keine kann es mit Liverpool aufnehmen. Klar bin ich voreingenommen, weil ich da aufgewachsen bin, aber ich liebe es einfach. Ich mag, dass es so klein ist und jeder jeden kennt. Ich finde es toll, dass die Leute so gebildet und interessant sind. Es gibt eine tolle Fußballmannschaft und großartige Bands. Es hat alles, was ich brauche. Und ich reise ja auch viel. Ich bin oft in London wegen irgendwelchem Musik-Management-Scheiß. Liverpool ist dafür mein Ausgleich.

 

Ihr habt ein paar total verrückte Jahre hinter euch, in denen es ganz schnell nach oben ging. Was war das Verrückteste, was ihr erlebt habt?

Ich glaube, als wir das erste Mal auf Festivals gespielt haben. Wir waren quasi noch total unbekannt und wurden fürs Glastonbury gebucht. Es waren zwar nicht Millionen Leute da, eher so 4.000, aber da rauszugehen und zu sagen: „Hallo Glastonbury!“... Da dachte ich: „Fuck, wie bin ich denn hier gelandet?!“ Oder als wir in Japan gespielt haben. Mittlerweile waren wir schon dreimal da und jedes Mal haben wir vor etwa 10.000 Menschen gespielt. Das ist immer noch unglaublich! Gerade saß ich noch zu Hause und hab ein paar Lieder geschrieben und jetzt bin ich in Japan und die Leute kennen alle Texte. So was haut einen einfach um.

 

Wo wir schon übers Touren sprechen: Ihr wart ja schon mit ziemlich bekannten Bands unterwegs wie den Libertines oder Interpol. Was habt ihr von ihnen gelernt?

Wenn man sich jeden Abend eine tolle Band anschaut, dann ist das wie Hausaufgaben zu machen, weil man sieht, wie sie sich bewegen und mit dem Publikum interagieren. Wir haben auf unserer ersten Tour,  der NME-Tour, sehr viel gelernt. Da waren wir mit Interpol, Royal Blood und Temples (mit denen haben wir auch ein Interview und zwar hier) unterwegs. Man sieht, wie sie in verschiedenen Situationen reagieren. Uns geht es jetzt auch so mit unseren Vorbands. Sie beobachten uns und denken vielleicht: „Ah, so macht man das.“ Wir lernen alle voneinander und irgendwann ist man dann vielleicht wie Dave Grohl und kann 90.000 Menschen kontrollieren.

 

Du hast mal erwähnt, dass David Bowie eins deiner Vorbilder ist. Weißt du noch, wo du warst, als du von seinem Tod erfahren hast?

Um ganz ehrlich zu sein, bin ich nicht der größte David-Bowie-Hörer – Joe und Sam sind totale Fans –, aber ich finde ihn trotzdem absolut klasse. Ich glaube, wir haben mal gesagt, dass es heutzutage nicht mehr genug Ikonen wie ihn gibt. Wo war ich? Auf dem Album gibt es den Song „Out On My Own“ und der hat diesen einen Gitarrenteil. Ich hatte vorher Bowies „Heroes“ gehört, in dem diese Guitar Line vorkommt. Ich dachte: „So was will ich auch machen.“ Das hat den Song abgerundet. Ich weiß noch, wie ich zu meiner Freundin gesagt habe: „David Bowie hat mir den Arsch gerettet.“ Weil ich nicht wusste, was genau ich mit dem Song machen sollte. Am nächsten Tag meinte sie dann: „David Bowie ist tot.“ Und ich dachte: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Ich hab mich total komisch gefühlt, weil ich gerade erst diese Beziehung zu ihm aufgebaut hatte und dann war er plötzlich tot. Aber er hat so ein fantastisches musikalisches Werk hinterlassen. Wenn man sich ein Beispiel an jemandem nehmen will, der es richtig gemacht hat, dann wäre das er.

 

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