Verfasst von Pati am 22/04/17
Noch vor ein paar Jahren standen sie kurz vor dem Aus. Finanzielle Probleme und Kommunikationsschwierigkeiten, die nicht nur eine Ehe, sondern auch eine so enge Verbindung wie ein Bandgefüge an ihre Grenzen bringen können, machte eine weitere Zukunft fast undenkbar. In so einem Fall kann eine Auszeit Wunder wirken und das hat sie im Fall der britischen Alt-Rocker Deaf Havana glücklicherweise auch.
Vor kurzem waren sie in Deutschland unterwegs, um ihr neues Album vorzustellen. Mit den Brüdern James (Gesang) und Matthew Veck-Gilodi (Gitarre) hat sich Cause We Love Music über unsinnige Anschaffungen, scheiß Wohnorte und Matts Lieblingsthema, den Brexit, unterhalten.
Euer neues Album „All These Countless Nights“ ist in den UK Charts bis auf Nummer 5 geklettert und damit euer bisher bestes. Mit dem vierten habt ihr jetzt auch schon die Make-or-Break-Stufe überschritten. Wo kann es da noch hingehen?
Matthew: Wir können schon noch etwas höher kommen. Ist ja nur Nummer 5.
James: Wenn es nicht funktioniert, weiß ich echt nicht, was wir machen werden. Wenn es funktioniert, dann geht’s sicher weiter nach oben. Wir sind immer noch nicht sehr bekannt. Ich hoffe, dass wir noch größer werden, bin aber jetzt schon ziemlich happy.
Speziell in Kontinental-Europa seid ihr wohl noch nicht so groß wie in UK.
J: Nein, bestimmt nicht. Die Shows bisher waren echt gut, viel besser, als wir erwartet hätten, weil mehr Leute kamen als gedacht. Aber sie sind noch viel kleiner als in England. Aber selbst die in England sind sie klein im Vergleich zu dem, was noch möglich ist.
Letztes Jahr wart ihr mit Jimmy Eat World in Deutschland. War das ein anderes Publikum als das, was ihr jetzt bei eurer eigenen Headlining Tour habt?
J: Ich glaube, vom Publikum bei Jimmy Eat World kannte uns absolut niemand.
M: Aber sie haben uns sehr respektvoll behandelt.
J: Vielleicht haben wir ein paar neue Fans gewonnen.
M: Unsere Crowd ist natürlich lauter.
Bevor ihr euer aktuelles Album aufgenommen habt, habt ihr alle einige Zeit ohne die Band verbracht. Über die Gründe dafür wurde schon viel gesagt, das müssen wir nicht wieder aufwärmen. Mich interessiert viel eher, was ihr in der Zeit gemacht habt.
J: Nichts.
M: Jeder von uns hat wieder in seinem alten, deprimierenden Job gearbeitet.
Zum Beispiel?
M: Ich hab in einer beschissenen kleinen Bar gearbeitet, Tom war Schweißer (und ist es noch).
J: Lee arbeitet für seinen Vater. Max und ich haben an Solo-Projekten gearbeitet.
Also habt ihr eure normalen Jobs nicht gekündigt, um in der Band zu spielen.
M: Wir konnten es uns einfach nicht leisten, weil die Band nicht wirklich viel Geld abgeworfen hat.
J: Das war echt scheiße. (lachen)
Wie hat diese Auszeit sich auf das neue Album ausgewirkt?
M: Wir haben gemerkt, dass wir die Musik total lieben und unbedingt weitermachen wollen. Wenn wir nicht diese zwei harten Jahre durchgemacht hätten, dann wäre das Album sicherlich nicht so emotional, wie es jetzt ist und meiner Meinung nach auch nicht so gut.
J: Wenn wir keine Pause gehabt hätten, hätte ich wahrscheinlich die Hälfte der Songs auf dem Album gar nicht geschrieben, weil die meisten von Dingen handeln, die wir in dieser Zeit erlebt haben. Ich bin echt froh, dass es diese Pause gab, auch wenn’s nicht gerade lustig war. Aber es hat uns geholfen, neue Lieder zu schreiben und war deswegen letztendlich gut so.
Krise als Chance sozusagen. Ich glaube fest daran, dass jede Krise auch immer etwas Gutes bringt.
M: Ja, obwohl es schwierig ist, sich daran zu erinnern, während man die Krise durchmacht.
Stimmt. Was habt ihr denn daraus für euch mitgenommen?
M: Es ging ziemlich tief nach unten. Uns ist klar geworden, dass wir uns viel mehr um alles Mögliche kümmern müssen. Früher dachten wir: „Wir haben die Songs geschrieben und werden sie live spielen. Mehr machen wir nicht. Um alles andere muss sich irgendwer sonst kümmern.“ Aber wir müssen wissen, was mit unserem Geld passiert, was jeder treibt und ob alle ihren Job gescheit machen. Jetzt mischen wir uns da viel mehr ein und das muss man auch.
Ihr lebt alle in anderen Städten, richtig?
J: Lee und ich leben in London.
M: Ich in Brighton, Max ganz nah bei London.
J: Und Tom lebt immer noch in einem scheiß Kaff.
M: Dem schlimmsten Ort auf der Welt. Es ist wirklich schrecklich.
J: Er lebt in einem Moor in East Anglia.
M: Wenn der Meeresspiegel steigt, geht er als Erster unter.
Dann darf er aber bei euch einziehen, oder?
J: Auf keinen Fall!
Wenn ihr alle so weit auseinander wohnt, ist es da nicht schwierig zu proben und die Songs zu schreiben?
M: Wo wir proben, kommt man ziemlich einfach hin.
J: Nur für Tom ist’s immer kompliziert.
M: Es ist nicht so schlimm, wie es sein könnte.
J: Und was die Songs angeht: Wir schreiben sie nicht zusammen. Ich schreibe sie und schicke den anderen ein Demo. Und wir proben auch nicht wirklich viel, nur kurz bevor wir auf Tour gehen.
In der Vergangenheit habt ihr recht regelmäßig eure Bandmitglieder gewechselt. Wie verändert das den Sound? Ich denke, jeder hat seinen eigenen Stil, wenn er ein Instrument spielt. Das muss ja auch die Identität der Band verändern.
J: Als uns vor vielen Jahren unser Sänger verlassen hat, war das auf jeden Fall eine dramastische... ähm, (lacht) dramatische Veränderung für den Sound, weil er geschrien hat und ich singe.
Das hab ich auch gehört. Das erste Album könnte von einer anderen Band sein.
J: Ich wüsste gar nicht, wie ich das anstellen soll. Aber als unser Gitarrist Chris uns vor zwei Jahren verlassen hat, hat sich der Sound nicht sonderlich verändert. Er hat die Musik nie wirklich geliebt und immer nur das gespielt, was ich ihm gesagt habe. Matt steuert seine eigenen Melodien bei, Chris war das egal. Er ist ein toller Typ, einer meiner besten Freunde, aber er ist eben kein Naturtalent. Ich glaube, er hat nur Gitarre gespielt, weil ihm langweilig war. Wenn er die Wahl hätte, ein Computerspiel zu spielen oder Gitarre, dann würde er eher zocken. Der Sound hat sich vielleicht etwas verändert, aber jetzt ist alles viel einfacher.
M: Die Dynamik ist eine andere.
Spielt ihr überhaupt noch Songs vom ersten Album live?
J: Nein, wir hassen es. Ich war ungefähr 18, als wir es rausbrachten.
Dann lasst uns lieber wieder über das neue sprechen. Ich würde gerne Song für Song mit euch durchgehen. In „Ashes , Ashes“ singst du darüber, dass du dein Auto verkauft hast, James. Hast du das wirklich?
J: Ich hab’s weggegeben, nicht wirklich verkauft.
Aber jetzt hast du keins mehr....
J: Doch, es ist ein nur anderes. Aber es ist nicht in London, sondern im Süden. Also hab ich nicht wirklich ein Auto.
Worauf ich hinaus wollte, ist, dass sich das Leben ganz schön verändern kann, wenn man plötzlich kein Auto mehr hat. Ich hab grad eins gekauft und jetzt viel mehr Freiheit.
J: Echt? In London ist es gerade das Gegenteil. Es ist wirklich nervig, da ein Auto zu haben. Man muss so viel für Parkplätze bezahlen und es dauert ewig, bis man irgendwo ist, weil so viel Verkehr ist. Außerdem ist das öffentliche Verkehrssystem in London fantastisch.
Also gewinnt man an Freiheit, wenn man kein Auto hat.
J: Ja, besonders, wenn man im Zentrum lebt.
In „Trigger“ lautet eine Zeile: „I still don’t know how to make my money last.“ Es hat sich also nichts verändert?
J: (lacht) Nein. Ich bin immer noch ständig pleite. Ich kann einfach nicht mit Geld umgehen.
Aber das Geld von der Band...
M: Da kümmert sich jetzt glücklicherweise jemand drum, der Ahnung davon hat.
J: Das Leben in London ist echt extrem teuer, aber ich geb auch viel für irgendwelchen Mist aus. Einmal haben Matthew und ich zum Beispiel je 150 Pfund für diese verrückten T-Shirts ausgegeben, die wir dann nie angezogen haben, weil wir vorher eine Flasche Wodka getrunken hatten und total dicht waren.
Dafür gibt’s ebay.
J: Die will keiner haben...
„England“ ist ein sehr kritisches Lied über euer Heimatland. Wie habt ihr die Entwicklungen im letzten Jahr erlebt, die zum Brexit führten? Und wie, denkt ihr, wird sich das Land verändern?
M: Es wird dem Land viel schlechter gehen. Das war so eine dumme Entscheidung. Keiner wird sich mehr für das Land interessieren. Wen kümmert schon eine kleine Insel vor der Küste Europas? Niemanden. Es war der Wille des Volkes, damit müssen wir jetzt leben, aber das Problem ist, dass es für manche die Legitimation dafür ist, rassistisch und fremdenfeindlich zu sein. In so einer Atmosphäre möchte ich nicht leben. Das regt mich echt total auf.
Viele Amerikaner ziehen wegen Trump nach Kanada. Wohin könntet ihr ziehen?
J: London. Weil es sich nicht anfühlt, als würde man in England leben. Da sind so viele Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern.
Wie New York sich nicht anfühlt, als wäre man in den USA.
J: Mehr noch. Ich liebe London einfach. Aber wenn man in kleine Käffer am Arsch der Welt geht...
M: Und das ist das Beschissenste: Die Leute, die für den Brexit gestimmt haben, leben in Regionen des Landes, wo es überhaupt keine Ausländer gibt. Aber trotzdem denken sie, dass sie deswegen keinen beschissenen Job mehr haben. Der wahre Grund ist aber, dass sie faule, fette, dumme Idioten (Anm. d. Red.: im Deutschen etwas abgeschwächt ☺) sind.
J: (kann sich vor Lachen kaum halten)
M: Sorry, bei dem Thema werd ich richtig wütend.
Denkt ihr, dass auch auf Bands neue Herausforderungen zukommen?
M: Ich denke, es wird schon ok sein, nur ein bisschen nerviger. Wahrscheinlich wird es jetzt in jedem Land so sein, wie wenn man in der Schweiz tourt. Und das ist mal echt nervig. Wenn die EU das will – und ich könnte das total verstehen –, dann könnte sie es uns echt schwer machen. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht... Ich hab da ne ganz tolle Idee: Spalten wir uns doch von dem Bündnis mit den ganzen anderen Ländern ab! Dumme, beschissene bleep bleep...
Lasst uns mal zu etwas angenehmeren Themen wechseln.... (lachen) James, in „Cassiopeia“ erwähnst du Berlin. Ist es die Stadt Berlin, in Deutschland?
J: Ja.
Was für eine Verbindung hast du zu ihr?
J: Ich liebe Deutschland im Allgemeinen, aber besonders Berlin.
M: Das stammt aus zwei Wochen, die wir mal in Berlin verbracht haben. Auf Tour kommt man zwar durch viele Länder, aber am Ende sieht man eigentlich immer nur dieselben kleinen Hinterzimmer oder irgendeine Bar. Man baut zu keinem Ort wirklich eine Beziehung auf. In Berlin haben wir auf der einen Seite schon sehr oft gespielt und auf der anderen haben wir dort für zwei Wochen gelebt. Deswegen kennen wir uns schon ganz gut aus und brauchen keinen Stadtplan mehr.
Da fühlt man sich sofort mehr zu Hause.
M: Ja, genau. Und das ist toll!
J: Ich verliere in Berlin manchmal meinen Verstand. Es gibt so viele verrückte Clubs und abgefahrene Orte. Ich liebe das einfach. Da gab es diese eine bestimmte Nacht, in der wir ausgegangen sind...
M: Ich glaube, da hab ich aus Versehen Crystal Meth genommen.
Aus Versehen...
M: (lacht) Ja.
J: Es war komplett abgefahren.
M: Total verrückt.
Wo wir schon bei Drogen sind, Alkohol ist ja auch eine. Mir ist aufgefallen, dass neun der dreizehn Songs auf „All These Countless Nights“ irgendwas mit Alkohol zu tun haben. Das ist sehr interessant. Das ist jetzt mal keine Frage, sondern nur eine Feststellung...
M: Wir trinken gerne.
Daran ist ja grundsätzlich nichts verkehrt.
J: Bei den Mengen, die wir konsumieren, schon.
Aber ihr seid doch Briten, von euch erwartet man nichts anderes.
M: Das stimmt, wir haben echt ein Alkoholproblem. Es ist eigenartig: Manche Bands sagen: „Uns ging’s nicht so gut, da haben wir getrunken.“ So ist es bei uns nie. Wir trinken, weil wir gute Freunde sind und es einfach tierisch Spaß macht, sich mit seinen Freunden zu betrinken. Das einzige Problem ist, dass wir es fast jeden Tag machen. (lachen)
J: Aber ich muss bald damit aufhören. Ich bin jetzt 27, da hab ich noch ein gutes Jahr zum Trinken. Danach beschränke ich mich auf ein Glas Wein in drei Tagen.
M: Für mich war es total krass, als ich nach Brighton gezogen bin. Da ist mir nämlich erst bewusst geworden, wie viele Leute absolut normal wirken, aber in Wirklichkeit totale Alkoholiker sind. Die sind viel schlimmer als wir. Und die sind 38.
James, ich habe gelesen, dass du Charles Bukowski sehr gerne magst. Bei ihm geht’s auch viel um Alkohol, daher kann ich da eine eindeutige Verbindung erkennen (natürlich ironisch zu verstehen ☺). Ein Kritiker beschrieb sein Werk als „eine detaillierte Beschreibung einer bestimmten, tabuisierten, männlichen Fantasie: der zügellose Junggeselle, schlampig, anti-sozial und vollkommen frei“. Kannst du dich damit identifizieren?
J: Zu 100%! Deswegen mag ich ihn so. Matt hasst ihn.
M: Ich hasse ihn nicht, ich meine nur, dass er einen Roman geschrieben und den dann 70-mal wiederverwertet hat.
J: Es ist kein Roman.
M: Ich weiß...
J: Ich mag ihn einfach und kann mich mit ihm identifizieren.
M: Es gibt brillante Passagen, aber vieles ist mir zu frauenfeindlich.
J: Ich hab dich schlechter über Leute reden hören, als er es gemacht hat.
Er hat auch gesagt: „Ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder bleibe ich bei der Post und werde verrückt oder ich versuche mich als Schriftsteller und verhungere. Ich habe mich entschieden zu verhungern.“ Ist es für dich als Musiker auch so?
J: Absolut. Es ist immer noch ziemlich schwierig gut davon zu leben. Die Leute denken immer, wenn man auf einer großen Bühne spielt, müsste man auch reich sein. Aber es ist immer noch schwer, die Miete davon zu bezahlen. Wir haben uns auch dafür entschieden zu verhungern.
Auf seinem Grabstein steht: „Don’t try.“ Versuch’s nicht.
M: Das hat er als Tattoo.
Das ist ja cool! Er hat das auf den kreativen Prozess bezogen: Man wartet und wenn nichts passiert, wartet man eben noch etwas länger. Wie funktioniert das bei dir?
J: Genau so. Wenn man versucht, etwas zu erzwingen, dann wird sich das auch so anhören. Das ist meine Meinung. Ich kenn auch Bands, die sich gezielt hinsetzen um zu schrieben. Ich warte auf Inspiration. Zum Glück kommt sie auch immer wieder. Deswegen hab ich mir das Tattoo stechen lassen. Das ist nicht negativ gemeint, wie „versuch’s erst gar nicht“.
Eher wie das taoistische Prinzip des Loslassens.
J: So ungefähr. Erzwing es nicht.
Meine letzte Frage bezieht sich auf die Wohltätigkeitsorganisation, die ihr unterstützt, „West Norfolk Mind“. Heutzutage scheint es, als würde sich jeder nur noch um sich selbst kümmern und gar nicht bemerken, was um ihn herum vor sich geht. Wie wichtig ist euch vor diesem Hintergrund diese Arbeit?
J: Ich sollte viel mehr tun, als ich im Moment mache. Ich mache nur ein- oder zweimal im Jahr was dafür. Ich habe ein paar Instrumente für eine Auktion zur Verfügung gestellt und spiele mindestens eine Show im Jahr, von deren Einnahmen ¾ an die Organisation geht. Es ist eine gute Sache und ich kann mich total damit identifizieren, aber ich sollte echt mehr tun. Ich könnte auch mehr tun.
Du könntest aber auch gar nichts tun...
J: Das stimmt. Aber ich sollte mehr tun und das werde ich auch.
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