Erwin & Edwin: Grenzgänger aus Ösi-Land

Wenn man moderne Technik verwendet, sollte man sich zuallererst damit auseinandersetzen, wie man sie richtig bedient... Das ist eines der (sehr offensichtlichen) Learnings aus meinem Interview mit der österreichischen Elektro-Brass-Rap-Kombo Erwin & Edwin. Aber bei Weitem nicht das Interessanteste! Denn Simon, der Drummer des Quintetts und mein Gesprächspartner bei dem Telefonat, das eine Aufnahme-App eigentlich hätte mitschneiden sollen, gibt bereitwillig Auskunft über den deutsch-österreichischen Culture Clash, die Herausforderung sich musikalisch zu begrenzen und ihren dreisten Frontmann Alix.

 

Eigentlich hätte das Interview bereits zwei Wochen zuvor im Münchner Giesinger stattfinden sollen, doch die tückische Faschingsgrippe hatte mir kurz vor dem Termin die Rechnung für mein narrisches Treiben an Weiberfastnacht präsentiert. Nach dem, was Simon mir über ihren Auftritt berichtet, ärgere ich mich doppelt, dass es mein Immunsystem so zerlegt hat, denn die Jungs müssen den Laden mal richtig ordentlich gerappt haben! So viele Zugaben wie nie zuvor auf ihrer aktuellen Tour aufgrund eines hochmotivierten Publikums. Doch das ist nicht der einzige Grund mich zu ärgern, denn oben erwähnte Aufnahme-App hat aufgrund meiner nur oberflächlichen Beschäftigung mit ihrer Funktionsweise genau das nicht gemacht, was sie eigentlich hätte machen sollen, nämlich unseren Plausch digital zu speichern. Da mein Bauchgefühl der Technik aber glücklicherweise nicht ganz getraut hat und ich mir nebenbei ganz oldschool stichpunktartige Notizen gemacht habe, muss ich jetzt doch keinen Text veröffentlichen, der auch von Claas Relotius stammen könnte.

 

Wer sich mit der Musik von Erwin & Edwin auch nur marginal beschäftigt, wird bemerken, dass sie sich nicht auf ein Genre festnageln lassen, sondern sich aus Blasmusik, Elektro, Rap und Funk bedienen und ihre Melodien auch mal mit spanischen oder Hard-Rock-Gitarren würzen. Gibt es denn irgendein Genre, das sie auf gar keinen Fall als Zutat verwenden würden? Wie grenzüberschreitend sie arbeiten, zeigt sich daran, dass Simon auf Anhieb nur zwei Musikstile einfallen: Indie Rock und Schlager. Auch bei den Instrumenten schöpfen sie aus dem Vollen. Was können wir in Zukunft noch erwarten? Manche Bands generieren ihre Sounds ja auch mit alltäglichen Gegenständen... Simon gibt zu, dass es schwerer ist, sich in dieser Hinsicht zu begrenzen als weiteres hinzuzunehmen. In Zukunft wollen sie ihre Songs nicht allzu sehr überladen.

 

Wenn ich ihre beiden Alben „Messing“, von 2016, und das dieses Jahr erschienene „Power“ vergleiche, könnten sie auch sehr gut von zwei unterschiedlichen Bands stammen. Die zugrundliegenden Elemente sind zwar dieselben (elektronische Beats, Blasmusik, Sprechgesang), aber Arrangement bzw. Gewichtung sind recht unterschiedlich. Auf ihrem Erstling waren entweder die Bläser oder die Beats im Vordergrund, auf der Neuerscheinung setzen sie eher Akzente. Der Gesang ist jetzt auf Deutsch und dominiert die Songs. Wie kam es zu dieser Verlagerung? Ende 2017 erreichte die Band einen Scheidepunkt. Zwei der Gründungsmitglieder, Christoph und Florian, verließen die Band, weil sie kein Interesse daran hatten, die Musik professionell zu verfolgen. Christoph hatte viel produziert und kam aus einer Blaskapelle. Florian war für die Beats verantwortlich. Danach kam der Rapper Alix, der beim ersten Album schon auf dem Track „Wien“ (ihr bisher größter Hit) zu hören ist, als festes Mitglied neu dazu. 

 

 

Für mich schlägt dieser Song eine Brücke zwischen den beiden Alben. Kann man ihn als „Blaupause“ für das aktuelle Werk sehen? Das sieht Simon definitiv so, doch der Entstehungsprozess ist heute ein anderer als bei diesem Lied. „Wien“ war ursprünglich instrumental. Als Alix – der damals noch nichts mit den Jungs zu tun hatte – den Song hörte, war er so begeistert und inspiriert, dass er einfach einen eigenen Text schrieb und ihn ungefragt der Band präsentierte. Letztendlich bescherte ihm seine Dreistigkeit einen festen Platz in der Kombo und er wird nun viel früher in den Songwriting-Prozess involviert.

 

Der Berliner war ein wertvoller Neuzugang, denn vorher hatte Simon den Gesang übernommen, doch hinter seinem Drumset war es eher schwierig, eine direkte Verbindung zum Publikum aufzubauen und die Bühnenshows waren auch weniger dynamisch. Ein Deutscher inmitten von vier Ösis – kommt es da auch manchmal zum Culture Clash? Ja, vor allem wegen der unterschiedlichen musikalischen Wurzeln der einzelnen Bandmitglieder. Alix kommt aus dem Rap und Hip-Hop und war bei ihren ersten gemeinsamen Auftritten, besonders beim „Woodstock der Blasmusik“, erstaunt, dass Blechinstrumente auch bei jungem Publikum so gut ankommen. Er versucht andererseits auch, modernere Sounds einzubringen. 

 

Bei uns in Bayern ist ja derzeit der Mundart-Rap DER heiße Scheiß. Künstler wie Schlicht & Ergreifend oder unsere persönlichen Freude Da Schraxx & DJ Defgru haben mit ihrem bajuvarischen Sprechgesang eine neue Marktlücke entdeckt. Auch Erwin & Edwin (das & reiht sie bereits nahtlos in diese Aufzählung ein...) haben bereits mit Mundart experimentiert. Ihr 2014 entstandener Track „Nudlsuppen“, eine Zusammenarbeit mit der Gesangskapelle Hermann, war der erste Schritt in diese Richtung, in die sie sich definitiv weiter bewegen wollen. Viele Lost-in-Translation-Momente, in denen Alix urösterreichische Begriffe oder die restlichen vier Mitglieder seinen Piefke-Slang nicht verstanden, haben sie inspiriert, Mundart meets Hochdeutsch noch weiter zu erforschen.

 

 

Mit ihrer Musik reißen sie die Grenzen zwischen Genres ein, mit ihren Texten versuchen sie, Grenzen im Kopf zu überwinden. Ist das ihre Mission, Grenzen einzureißen? Das sieht Simon auf jeden Fall so. Aber bei all den Nachrichten, die man heutzutage hört, kann es leicht passieren, ins Negative abzudriften und seiner Frustration Luft zu machen. Ich finde, das sieht man gut an den vielen Gegen- und den weniger Für-Bewegungen. Doch Erwin & Edwin wollen im Positiven bleiben und nicht bitter werden, sondern gemeinsam mit Gleichgesinnten feiern. Obwohl die Texte auf „Power“ recht gesellschaftskritisch sind, findet Simon aber nicht, dass Musik unbedingt politisch sein muss. Was sie auf jeden Fall sein sollte, ist aber ehrlich. Bei Erwin & Edwin ist das vielleicht mehr Thema als bei anderen Bands. Das sieht man besonders an dem Lied „Influenza“, das einen kritischen Blick auf die sozialen Netzwerke wirft. Die postmoderne Tätigkeit des „Beeinflussers“ verbreitet sich wie ein Grippe-Virus. Und der kann im schlimmsten Fall tödlich enden. Das hat auch Alix gemerkt. Er ist viel im Netz unterwegs, weil er das Gefühl hat, es sein zu müssen. Für ihn ist der Song so was wie eine Selbstreflexion, ein Reminder, dass er weniger an sein Image denken sollte.

 

„Nach Oben“ – ebenfalls auf dem neuen Album zu finden – erinnert mich sehr an Bilderbuch. Welche Verbindung haben Erwin & Edwin zu ihren Kollegen und Landsleuten? Bilderbuch sind immer Thema, weil sie keine Angst haben, etwas Neues auszuprobieren. Wie ihre Europa-Pass-Promo. Sie sind zwar kein Riesenvorbild, haben aber einige coole Elemente, die Simon und seine Bandkollegen inspirieren. Eine Zusammenarbeit könnten sie sich durchaus vorstellen, aber sehr wahrscheinlich ist sie nicht, weil Bilderbuch doch lieber allein arbeiten und schon viele Kooperationsanfragen eine Absage erteilt haben. Aber vielleicht haben ja Moop Mama mal Interesse...

 

Zum Schluss darf natürlich unsere Standard-Closing-Frage nicht fehlen: Warum liebst du Musik? Hier fällt es Simon erst schwer, einen der vielen Gründe zu nennen und er beschränkt sich dann auf Folgenden: „Musik ist das Elixier, das das Leben und die Gefühlswelt bestimmt.“ 

 

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