Fayzen: Nur eben mal die Welt retten

Verfasst von Pati am 07/06/17

Der deutsch-iranische Singer/Songwriter und Spoken-Word-Künstler Farsad Zoroofchis aka Fayzen kratzt nicht an der Oberfläche. Er gräbt mit seinen Texten ganz tief, bis zu den Wurzeln. Wer schon mal beim Zahnarzt war, weiß, dass das sehr schmerzhaft sein kann. Und so findet man auch in Fayzens Liedern viel Leid, hier jedoch hervorgerufen von Liebe, Verlust und Einsamkeit, nicht vom Bohrer des unbarmherzigen, dentalen Folterknechts.

 

Einen Scherz darf man sich da trotzdem erlauben. Muss man sogar, denn der Mann hinter den feinsinnig wie –fühligen aber nie gefühlsduseligen und immer sehr schnörkellosen Zeilen ist eigentlich ein Scherzbold. Auf der Bühne versprüht er einen Enthusiasmus und eine Lebensfreude, die sich manch routinierter Langzeitmusiker sicher zurückwünschen und wenn nicht in Doktor-Faustus-Manier seine Seele, dann doch sicher einige seiner besten Tunes dafür opfern würde. Fayzen ist keine Rampensau, sondern jemand, der die Bühne teilt. Zwischendurch mal eine Open-Mic-Session anberaumt und voller Begeisterung die Mutigen anfeuert, die sich vor sein Publikum gewagt haben wie Gladiatoren in eine Arena voller Löwen, ungewiss ob sie von ihnen zerfleischt werden oder sie zähmen können. 

 

Doch im Münchner Milla gab es keine Großkatzen, sondern ausschließlich Menschen, die wie der Künstler, wegen dem sie da waren, jedem vorurteilsfrei eine Chance gaben und sich von den talentierten Hobbymusikern genauso beeindrucken ließen wie von dem Mann, der vor und nach dieser überraschenden Einlage eine der mitreißendsten Live-Performances lieferte, die ich seit Langem gesehen habe.

 

Cause We Love Music hatte die Freude und das Vergnügen, vor seinem Auftritt mit Fayzen über die Suche nach der Wahrheit, Coldplay und das Gottesteilchen zu sprechen. (dazu die Preisfrage: Was passt nicht in diese Aufzählung?)

 

Das wurdest du wahrscheinlich schon öfter gefragt, aber bedeutet Fayzen irgendetwas Bestimmtes?

Meine damalige Rap-Clique hat mir den Namen in der Schulzeit gegeben. Da gab es eine Hip-Hop-Crew, die immer nur gefreestylt, Plattenteller aufgelegt und dazu improvisiert hat. Das waren bei uns in der Schule die Coolen. Ich war als Gast immer wieder mal dabei und irgendwann habe ich mich auch mal getraut. Ab da habe ich das immer öfter gemacht. Irgendwann kamen die dann mit so einem Pulli an, wo ihr Crew-Name draufstand und Fayzen.

 

Du sagst, du hast mit Hip-Hop angefangen und jetzt bist du ja eher tiefsinniger Singer/ Songwriter, weil du eine Veränderung brauchtest, hab ich gelesen. Aber warum gerade in die Richtung?

Gefreestylt haben wir über ganz normale Hip-Hop-Beats, aber die Texte, die ich geschrieben habe, waren immer schon in der Richtung, so tagebuchmäßig über Dinge, die mir im Alltag passiert sind.

 

Und musikalisch?

Das war auch schon immer so. Das hört man bei den alten Sachen, die ich als Straßenmusiker gemacht und auch verkauft habe. Ich habe sie mit einem Multiinstrumentalisten aufgenommen, der alle möglichen Instrumente spielen konnte, und die Instrumentale, die er gebaut hat, waren immer schon richtige Arrangements.

 

Dann war das eigentlich gar keine so große Veränderung zu deinen Ursprüngen.

Nee, eigentlich nicht. Von dem Freestylen hab ich nichts auf Platte aufgenommen.

 

Du hast ja persische Wurzeln. Haben die irgendeinen Einfluss auf deine Musik?

Meine Eltern haben immer sehr viel persische Musik gehört, als ich ganz klein war. Bis ich sieben oder acht war, habe ich nichts anderes gehört. Man sagt ja, dass die musikalische Prägung in den Anfangsjahren die intensivste ist. Persische Musik ist ganz viel Folklore und die ist sehr melancholisch. Die Texte drehen sich um die Suche nach Gott und dem Göttlichen, um die Liebe und die Wahrheit. Ohne bewusst darauf zurückgreifen zu wollen, hat mich das doch sehr geprägt, so dass ich zum Beispiel weniger schnell sage „das Lied ist zu traurig oder zu melancholisch“ als andere, die Punk Rock oder was anderes gehört haben.

 

Also hat dich eher die Stimmung geprägt als die Musik. Das höre ich nämlich auch in deinen Liedern. Musikalisch würde ich da jetzt nicht unbedingt was Persisches raushören, aber du bewegst dich eigentlich fast immer auf einem schmalen Grad zwischen Melancholie und Heiterkeit. Die Melodien sind oft eher up-beat, aber wenn man mal genau auf die Texte hört, dann erkennt man, dass sie teilweise eine tiefe Melancholie oder fast schon Traurigkeit ausdrücken.

 

Ja, das zieht sich eigentlich durch die ganzen Alben durch. Ich bin schon eher heiter, mache viel mit Freunden und auch gerne mal nur Quatsch. Ich rede mit ihnen zwar hin und wieder mal über ernste Themen, aber meistens machen wir eher Blödsinn. Ich vergötter den Quatsch. Aber ich glaube, dass ich dann diese Moment brauche, um so fröhlich sein zu können, weil ich da einfach alles rauslasse.

 

 

 So wie das Gute das Böse braucht oder das Licht den Schatten. Es gibt ja eigentlich immer diesen Dualismus in der Welt.

Genau und diese traurigen Momente, über die ich schreibe, holen mich dann oft auch zurück von der Dunkelheit ins Licht. Ich lasse es alles raus und dann ist es wieder gut.

 

Das ist ja im Grunde wie beim Tagebuchschreiben: Wenn die negativen Gedanken raus sind, dann bist du befreit und hast quasi wieder eine weiße Seite.

Total. So ist das bei mir ganz doll.

 

Mir ist auch aufgefallen, dass einige der Songs mit Verlust zu tun haben. Zum Beispiel „Herr Afshin“ oder das Video von „Wundervoll“, das ein total unerwartetes Ende hat. Ist Verlust etwas, das dich im Moment sehr beschäftigt?

Besonders bei der Platte geht es um etwas, das vielleicht jeder schon mal erlebt hat. Da ist ein Mensch, den man mal irgendwann getroffen hat und man dachte, der ist eine heilige Person und es ist von Gott und dem Schicksal so gewollt, dass man zusammen ist und man hat sich die Zukunft schon ganz klar ausgemalt und bildet sich auch ein, Zeichen gesehen zu haben, dass man für einander bestimmt ist. Dann passiert das aber plötzlich gar nicht, was die Zeichen einem gesagt haben und man zweifelt daran, dass es diesen Liebesgott überhaupt gibt und fragt sich: „Warum tut denn Liebe weh? Ist das wirklich Liebe oder brauche ich nur aus egoistischen Beweggründen jemanden?“ Ich habe mich bei dem Album damit befasst, was wahre Liebe eigentlich ist. Und mein Opa ist auch gestorben. Ich habe das Album geschrieben, als ich diesen Menschen, den ich erwähnt habe, verloren habe, aber jedes Lied ist so ein Griff danach, dass alles wieder besser wird. Mit einem Lied zeige ich eine Phase des Verdauungsprozesses. Da laufe ich durch die Straßen und singe: „Ich bin verdammt gerne allein, ich brauche niemanden, der Mensch ist eh nicht fähig monogam zu leben.“ Da habe ich gemerkt, dass ich viel besser allein sein konnte, als ich noch niemanden vermisst habe. Da konnte ich auch mal allein in den Wald gehen, aber in der Zeit war ich nur noch mit Freunden auf der Piste. In dem Lied verarsche ich mich quasi selber. Jeder kennt auch die Phase, in der man abhauen und weglaufen will. Bei dem Lied „Freunde“ singe ich: „Ich könnte nach Bali und da und a hin... Aber meine Freunde sind halt hier und ich will mit denen reden.“ Ich wollte eigentlich, dass das Album ein Happy End hat, dass es einen Abschluss hat und auf den Moment habe ich auch lang gewartet. Dass ich sie wiedertreffe und dann alles gut ist. Der ist dann auch gekommen. Das Album hat ein Happy End.

 

Das stimmt. Am Anfang beim „Intro“ war ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob da nur jemand weggegangen ist und jemanden verlassen hat oder ob da jemand endgültig Abschied nimmt und kurz davor steht, Selbstmord zu begehen.

Ja, total. Das kennt man ja, dass der eine sich trennt und sagt: „Ich muss mich selber finden.“

 

Um noch mal kurz auf das Video von „Wundervoll“ zurückzukommen: Das ist im 4:3-Format. Das ist ja sehr anachronistisch. Wieso habt ihr euch dafür entschieden?

 

Wir wollten unterbewusst ein bisschen diese Foto-Assoziation wecken. Das ist ja das Format, das auch Fotos meistens haben. Und alles ist auf Stativ gedreht, da hat nie jemand eine Kamera in der Hand gehabt. Das haben wir das gemacht, damit es noch mehr den Anschein einer Erinnerung hat.

 

 

„Herr Afshin“ habe ich eben schon mal kurz angesprochen. Da singst du darüber, dass du auf der Suche nach dem perfekten Lied bist. Bei Youtube sagen ganz viele Kommentare, dass du es damit schon gefunden hast oder zumindest nah dran bist. Wie siehst du das?

Ich finde das Lied auch fast perfekt. Aber DAS perfekte Lied, das die Welt rettet und Weltfrieden schafft, das habe ich damit noch nicht gefunden. Ich weiß auch nicht, ob es das überhaupt gibt. Das sage ich auch in dem Lied.

 

Dass es so was bewirkt, würdest du als perfekt definieren.

Mein Vater war immer schon so ein linker Hund, der sich bei den Nachrichten darüber aufgeregt hat, wie ungerecht die Welt ist und dass die Reichen den Armen immer noch mehr wegnehmen. Ich wollte wohl immer schon unbewusst dazu beitragen, dass die Welt gerechter und besser wird. Ich kann nur Musik machen, ich kann nicht in die Politik gehen, weil ich davon zu wenig Ahnung habe. Also ist das der einzige Weg, der mir dafür zur Verfügung steht. Mit dem „perfekten Lied“ meine ich auf der einen Seite, dass die Welt dadurch besser wird, aber auf der anderen Seite auch, dass es mich sozusagen heil und ganz und zufrieden macht.

 

Also quasi Selbsttherapie.

Ja, und einen inneren Frieden finden.

 

Also mich hat es voll umgehauen und ich war danach total gerührt.  Als ich die Kommentare gelesen habe, dachte ich: „Ja, kann man schon so sagen, ist zumindest nah dran.“

 

In dem Lied erzähl ich ja nicht mal so viele dramatische Sachen, es sind eher so Kleinigkeiten. Für mich ist es immer wieder ein Wunder, dass in der Musik oder der Kunst solche Kleinigkeiten plötzlich so groß werden können. Dass man einfach von kleinen Dingen erzählt, die stimmen und dann etwas Magisches bekommen.

 

Oder was Musik im Körper eines Menschen bewirken kann. In dem Zusammenhang fand ich es sehr spannend zu lesen, dass du mal Physik studiert hast. Musik und Physik haben ja sehr viel gemein, obwohl das viele Menschen auf den ersten Blick nicht denken würden. Allein Schall und Schwingung, durch die Musik erst erzeugt wird, sind ja physikalische Phänomene. Hat sich das bei dir bedingt, Physik zu studieren und Musik zu machen?

Physik wollte ich eher studieren, um zu verstehen, wie die Welt so funktioniert. Es gibt ja Glaubenssätze, die man haben kann, auch wenn man nicht religiös ist, wie „alles hat seinen Sinn“ oder „alles passiert für etwas  Besseres, das folgt“. In der Geschichte wurde alles, von dem man nicht wusste, was es ist, den Göttern zugeschrieben. Wenn es geregnet hat, konnte man sagen: „Das ist der Regengott.“ Ich war und bin auch immer noch sehr behaftet von diesen Glaubenssätzen. Wenn ich etwas nicht verstehe, schreibe ich es direkt etwas Göttlichem zu und ich wollte einfach bei so vielen Sachen wie möglich ausschließen, dass ich mir das nur selbst einbilde und herausfinden, wie die Dinge wirklich sind.

 

Wobei seit der Aufklärung ja eher der Trend ist, dass die Leute sagen „dafür gibt es eine Erklärung oder zumindest muss es eine geben“ und eher wegkommen von diesem Aberglauben und damit aber auch weg von intuitivem Handeln. Heute sind wir eher alle kognitiv gesteuert.

Auf der eine Seite ist es gut, viel zu wissen, dann kommt man nicht drauf, so komische Dinge zu sagen wie: „Alle, die DIE Religion haben, sind doof und müssen getötet werden.“ Es ist schon mal gut, dass man mithilfe der Wissenschaft erklären kann, dass wir gar nicht so unterschiedlich sind. Aber trotzdem gibt es auch so mysteriöse Sachen in der Physik, über die man noch nicht alles weiß, wie in der Quantenmechanik, also dass es bei den ganz kleinen Teilchen anscheinend noch mal ganz andere Gesetze gibt, als die, die es in der normalen mechanischen Welt gibt. Alles kann man also auch noch nicht erklären.

 

Ist ja auch lustig, dass sie das Gottesteilchen so genannt haben, weil es ja eher weggeht von den Göttern.

Ja, Gott war in der Wissenschaft und in der Physik immer das, hinter dem noch ein Fragezeichen stand.

 

Jetzt würde ich gerne noch konkret auf ein paar der Lieder vom neuen Album eingehen. „1.000 Teile“ erinnert mich total an Coldplay. Sie die einer deiner Einflüsse?

Ich finde sie cool, aber ich versuche die Arrangements immer den Texten unterzuordnen. Irgendwie hat sich das so richtig angefühlt.

 

War also mehr Zufall als bewusste Referenz.

Ja, schon eher.

 

Bei „Mondverlassen“ singst du: „Ich glaub, ich werd erwachsen.“ Das klingt für mich nicht unbedingt nach etwas, das erstrebenswert wäre. Gehst du eher so in Richtung Peter Pan, dass du sagst „ich will gar nicht erwachsen werden“ oder „ich will mir mein inneres Kind bewahren“?

Vor ein paar Jahren habe ich mal zwei Sachen gesucht: Das eine war: Was ist Glück, wie werde ich glücklich? Und das andere die Wahrheit. Ich habe das Gefühl, dass ich mich irgendwann entscheiden muss, was ich finden will. Mit dem Lied wollte ich mich selbst erinnern, dass selbst, wenn es keinen Zauber, kein ewiges Leben, die ewige Liebe und diesen Mond gibt, es eben so ist. Und was passiert, wenn ich dem so in die Augen schaue und sage: „Ja, ok. Gibt’s nicht, na und?“ Das Leben kann ja trotzdem an sich ein Wunder sein, ohne dass es all diese Sachen gibt.

 

Also eigentlich nicht desillusioniert, sondern doch eher hoffnungsvoll, dadurch, dass du in dem Moment auch was losgelassen hast.

Genau, einfach dem ins Auge sehen. Wenn irgendwas Schlimmes passiert, sagt man, das soll so sein. Man will bloß nicht der Wahrheit ins Auge sehen. Ich will damit ausdrücken: Selbst wenn’s so ist, ist es so.

 

Auf Spotify ist zu sehen, dass bei den Städten, in denen du am meisten gehört wirst, Hamburg auf Platz 1 steht, aber sehr erstaunlich Wuppertal auf Platz 4.

Ach krass!

 

Jetzt hast du die Chance, den Wuppertalern eine Message zu senden.

Versucht Hamburg vom Thron zu stoßen!

 

Also, Bewohner von Wuppertal, ihr wisst Bescheid! Enttäuscht den Mann nicht!

 

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