Verfasst von Pati am 15/10/18
Es ist Anfang Oktober, fühlt sich aber an wie Hochsommer. Ich genieße meinen kleinen Spaziergang durch den Neuen Garten in Potsdam entlang des Heiligen Sees, aber irgendwie will mir eine kleine Stimme im Hinterkopf diesen schönen Moment versauen: „Solche Temperaturen um diese Jahreszeit? Das ist nicht schön, das ist beängstigend!“ Leider muss ich ihr recht geben. Es ist die verdammte Erderwärmung, die wir mit unserem Lebensstil verursachen. Die von der Politik vereinbarten Klimaabkommen sind bedauernswerterweise auch nur heiße Luft, aber es gibt Hoffnung – im Kleinen. Zum Beispiel Handmade Moments.
Das US-amerikanische Duo bestehend aus Anna Moss und Joel Ludford befindet sich gerade auf seiner ersten Headliner Tour durch Europa und mein Spaziergang führt mich zu einem Interview mit ihnen. Heute ist alles irgendwie anders: die Band, das Venue... An der angegebenen Adresse erwartet mich kein abgeranztes Industriegebäude, über dessen Eingang die Rundungen einer Neonröhre den Namen des Clubs bilden, kein Security interessiert sich für den Inhalt meines Stoffbeutels und es rollen auch keine Roadies geschäftig Equipment an mir vorbei. Ich stehe vor einem schicken Haus aus der Gründerzeit. An der Zauntür liefern bunte Luftballons einen Hinweis darauf, dass hier heute etwas Besonderes stattfindet. Ein Gartenfest? Ein Kindergeburtstag? Letzteres kommt mir zuerst in den Kopf, als ich hinter dem Haus auf eine junge Frau mit einem etwa eineinhalbjährigen Kleinkind treffe. „Hallo, ich bin Jana“, begrüßt sie mich freundlich. Wie sich herausstellt ist sie die Frau von Tobi, einem der Veranstalter, und Mitgastgeberin an diesem Abend, denn das Konzert findet in ihrem Keller statt, in ihrer Wohnung dürfen die Besucher die Toilette benutzen und Anna und Joel werden bei ihnen nächtigen. „Die Band ist noch nicht da, aber da hinten rechts geht ne Treppe runter, da müsste der Tobi sein“, klärt mich Jana auf. Der kleine Ole gluckst wie zur Bestätigung.
Ich stolpere natürlich erst mal zum falschen Eingang rein, falle quasi mit der Hintertür ins Haus und navigiere an Bierkästen und allerhand Kram vorbei, als mir um die Ecke Paul entgegenkommt. Er hilft heute an der Bar aus. Hinter ihm folgen dann auch schon Tobi und Christian, die das spannende Konzept dieser Kellerkonzerte ins Leben gerufen haben. Doch auf Keller ist die Potsdamer Wohnzimmerkultur – so der Name der Veranstaltungsserie – nicht beschränkt. Auch Wohnzimmer, Geschäfte oder Gärten werden zu Venues, an denen Bands, Schriftsteller und Schauspieler ihr Können zum Besten geben (hier erfahrt ihr mehr über das Konzept).
Während wir auf die Band warten, lasse ich mich mit einem Störtebeker auf einem Holzschlitten nieder und beobachte, wie aus dem kargen Kellerraum eine gemütliche, fast orientalisch anmutende Höhle wird. 40 Besucher haben sich über Facebook angemeldet, das Maximum. Seit über zwei Jahren erfreut sich die PoWoKu wachsender Beliebtheit und ist zu einer festen Größe im hiesigen Kulturangebot geworden. Plötzlich sind draußen englisch sprechende Stimmen zu vernehmen und dann herzzerreißendes Kinderweinen. Kurz darauf kommt Joel in den Raum. „Als ich den kleinen Mann begrüßen wollte, ist er vor Schreck die Treppe runtergefallen...“, sagt er fast etwas schuldbewusst. So schlimm, finde ich, sieht der Sänger und Multiinstrumentalist nun auch wieder nicht aus. Eher lustig irgendwie. Ein langer Schlacks mit kurzer Hose und blondem Zottelhaar.
Kurz darauf kommt auch Anna zur Inspektion ihrer heutigen Bühne, die im Grunde genommen gar keine ist, sondern eine Ausbuchtung mit Fenster. Wir kommen schon mal ganz inoffiziell ins Ratschen, sie machen einen fünfminütigen Soundcheck und dann gibt’s in der Küche was für den leeren Magen und für mich was ins Aufnahmegerät.
Das ist ja eure erste Headlining Tour in Europa. Wie läuft es bisher?
Anna: Das ist sogar überhaupt unser erstes Mal auf dem Kontinent. Die Menschen sind total nett. und
Joel: Ja, sie beten sie an. (grinst) Ich bin ja auch ein super Guru. Ich gebe den Menschen Ratschläge, was sie mit ihrem Leben machen sollen. Wenn sie jung sind und nicht wissen, wohin es gehen soll, sag ich ihnen: „Kette dich an einen Baum oder eine Pipeline. Setze dein Leben aufs Spiel für die zukünftigen Generationen.“ Wie die Leute in dem Wald, die gerade aus ihren coolen Baumhäusern verjagt wurden (Anm. d. Red.: damit meint er den Hambacher Forst in der Nähe von Köln, der gerodet werden soll, um Platz für klimazerstörenden Braunkohletagebau zu machen). Ich sage ihnen: „Helft den Armen und Entrechteten. Geht protestieren!“
Ich habe bereits jetzt das Gefühl, dass das Interview ein Selbstläufer wird, denn für viele meiner Fragen haben die Beiden schon erste Stichworte geliefert.
Im Leben braucht man eine Mission, um ihm Sinn zu verleihen. Was ist eure?
J: Unsere Musik und damit Freude zu verbreiten und uns für die Wiederherstellung der Erde einzusetzen, für ...
A: ... regenerative Landwirtschaft, regenerative Systeme ...
J: ... und das Ende der ...
A: ...Oligarchie und ...
J: ... des Patriarchats. Wir sollten für ein paar Jahrhunderte das Matriarchat einführen.
Ich plädiere für ein ko-kreatives System, bei dem Frauen und Männer auf Augenhöhe und gleichberechtigt zusammenarbeiten. Joel kann sich dagegen gut vorstellen, unter einer Frauenherrschaft (oder wäre das dann eine Frauschaft) zu leben, weil er die Politik für zu männerlastig hält und das für die Kriege und Krisenherde auf der Welt verantwortlich macht. Anna fügt der Frage nach ihrer Vision hinzu: „Wir wollen gute Vibes verbreiten und die Menschen dazu bringen, über Dinge nachzudenken, an die sie noch nie einen Gedanken verschwendet haben und so zu einer Veränderung beitragen.“
Dann unterhalten wir uns darüber, dass die Nachrichten nur über das Schlechte in der Welt berichten und kaum jemand von tollen Projekten erfährt, die die Welt besser machen und die es überall auf der Welt gibt. Darüber, dass wir durch Angst regiert werden, weil die Regierungen Marionetten der Unternehmen sind und Menschen, die Angst haben, dazu tendieren mehr zu konsumieren. Darüber, dass wir diesen Kreislauf durchbrechen müssen.
A: Wir wollen die Menschen daran erinnern, dass wir als Konsumenten Macht haben. Jedes Mal, wenn wir etwas kaufen, entscheiden wir, in was für einer Welt wir leben wollen. Das gehört auch zu unserer Mission.
Euer Musikstil ist inspiriert von den Anfängen der amerikanischen Populärmusik wie Country, Blue Grass, Jazz. Was fasziniert euch an dieser Art von Musik?
J: Um sie zu machen, musst du nicht auf eine Schule gehen oder sie erlernen. Es ist Musik, die Leute spielen, wenn niemand da ist, der ihnen sagt, wie sie es machen sollen oder was sie hören müssen. Sie machen es zum Zeitvertreib.
Eure Texte sind leicht zu verstehen und man kann sich mit ihnen identifizieren.
J: Ja, sie sind nicht mystisch, sondern sehr direkt. Ich mag Folk Music, weil sie von einfachen Menschen gemacht wird. Nicht wie klassische Musik oder Mainstream, die sich danach richtet, was gerade angesagt ist. Folk Music kommt von Herzen.
Ihr habt schon angesprochen, dass euch ein nachhaltiger Lebensstil sehr wichtig ist. Wie genau setzt ihr das um?
J: Wir pflanzen Bäume und arbeiten mit einer Farm in Arkansas zusammen, die Essen für Bedürftige anbaut und ihnen zeigt, wie sie es selbst machen, damit sie unabhängiger werden.
A: Unser Plattenlabel Jumpsuit Records hat eingerichtet, dass jedes Mal, wenn jemand auf Spotify unsere Musik streamt, ein Prozentsatz von den Einnahmen an eine Einrichtung namens Action Days geht. Damit können wir dann Events bezahlen wie 100 Obst- und Nussbäume anzupflanzen. Die Bäume haben wir vom Streaming bezahlt und angebaut haben wir sie zusammen mit den Leuten, die am Abend vorher bei unserer Show waren. Es ist toll, dass wir durch unsere Konzerte Menschen an unterschiedlichen Orten zusammenbringen und zum Beispiel Bäume pflanzen können, die später mal Obst tragen und so andere Menschen ernähren.
J: Wir wollen auch eine andere alternative Energiequelle entwickeln, um auf Tour zu gehen (ihr früherer Van wurde mit Gemüseöl betrieben). Aber wir haben so viel Zeit und Energie in den alten Van gesteckt, dass es wohl noch etwas dauern wird, bis wir wieder ein fahrbares Zuhause haben werden.
A: Wir haben schon einen neuen Van, der mit Solarenergie betrieben wird, aber er läuft noch nicht mit Gemüseöl.
Er ist aber noch kein richtiger Ersatz für den Van, der vor zwei Jahren bei einem Unfall komplett zerstört wurde (hier erfahrt ihr die Hintergründe). Sie brauchen noch jede Menge Unterstützung, um den neuen Van umzurüsten, weil sie ununterbrochen auf Tour sind und keine Zeit dafür haben. Wenn sie wieder ein bisschen zur Ruhe kommen, möchte sich Joel mit der Entwicklung eines eigenen Kraftstoffs auf Abfallbasis beschäftigen.
A: Wenn wir unterwegs sind, kaufen wir unsere Lebensmittel von lokalen Bauernhöfen und wir spielen auf Farmers Markets, um lokale Bauern zu unterstützen.
J: Die Landwirtschaft ist der größte Verbraucher von Öl und Wasser. Anstatt ein System zu sein, dass viel verbraucht, könnte sie auch eins sein, dass viel erschafft. Aber so wie sie im Moment funktioniert, zumindest im großen Maßstab, zerstört sie unser Ökosystem. Darüber reden wir so oft wir können, um die Menschen daran zu erinnern, dass sie die Macht haben, das System zu verändern. Vielleicht hören die Regierungen irgendwann mal auf sie und verbieten Landwirtschaft, die CO2 ausstößt und den Boden herunterwirtschaftet. Aber bis jetzt ist das noch legal...
A: ...und substituiert.
Ich glaube fest daran, dass eine Krise oft eine Chance ist und als Katalysator für etwas Gutes fungiert. Ist irgendetwas Gutes aus dem Unfall entstanden?
J: Ja, nach dem Unfall haben wir uns wieder mehr darauf konzentriert, Musik zu machen. Wir haben unser neues Album aufgenommen und ein paar Videos gedreht, die sich dann in Windeseile im Internet verbreitet haben. Deswegen sind wir jetzt in Europa, weil eines der Videos mittlerweile 8 Millionen Mal angeschaut wurde. Ich weiß nicht, ob das mit dem Unfall zu tun hat, aber es war auf jeden Fall etwas Positives, was sich danach entwickelt hat.
A: Wir haben auch sehr viel Unterstützung erhalten. Wir leben nicht an einem festen Ort, haben aber Verbindungen nach Kalifornien, Arkansas und Louisiana. Menschen von dort haben uns sehr geholfen. Alles, was wir brauchten, kam einfach. Es war wunderschön, so unterstützt zu werden. In den USA hat man es als Band sehr schwer, Fuß zu fassen, weil die Musikszene so übersättigt ist, und da ist so viel Unterstützung besonders wertvoll. Außerdem hat der Unfall unsere Einstellung zu vielem verändert.
J: Wir nehmen uns gegenseitig nicht mehr als selbstverständlich hin.
A: Vor dem Unfall haben wir uns auf jeden Fall als selbstverständlich betrachtet. Aber ich glaube, das ist normal. Wenn man ständig mit jemandem arbeitet oder mit jemandem lebt, dann geht man sich gegenseitig manchmal auf die Nerven. So ein schlimmer Unfall zeigt einem, dass es ganz schnell vorbei sein kann.
Wie gefällt euch das Venue? Es ist ja sehr klein und intim, wie denkt ihr, wird der Abend?
A: Ich liebe solche Shows!
J: Die Leute, die herkommen, wollen nicht einer Szene angehören oder nur gesehen werden ...
A: ... oder sich an der Bar betrinken. Sie wollen die Musik genießen.
J: In einem nicht-kapitalistischen Umfeld. Wird sicher super!
Morgen früh werdet ihr in einem ganz anderen Umfeld spielen. Ihr tretet im ZDF Morgenmagazin auf. Dort habe ich öfter schon Bands gesehen, die ich kurz vorher entdeckt hatte oder die ich dadurch entdeckt habe. Vielleicht gibt euch das noch einen zusätzlichen Push in Deutschland ...
Joe: Ja, wir sind echt total dankbar, dass unser Booking Agent sie kontaktiert hat. Wir werden zwar müde sein...
A: ... aber wenn was offen hat, trinke ich vorher noch einen Espresso.
Warum liebt ihr Musik?
J: Weil sie einem ein gutes Gefühl gibt.
A: Das habe ich mich noch nie so wirklich gefragt., weil ich schon als Kind Musik geliebt habe. Ich hab mich im Bad eingeschlossen und ständig denselben Song gesungen. Das ist eine meiner frühesten Erinnerungen. Da war ich drei. Ich mochte es, wie ich mich dadurch gefühlt habe. Deswegen wollte ich selbst Musik machen. Gestern haben wir ein Konzert in einem winzigen Ort namens Zwotental gespielt. Es war ähnlich wie hier: Die Veranstalter waren ein Paar mit einem wunderschönen Zuhause und einem acht Monate alten Baby. Das Baby hat sich einfach so zur Musik bewegt. Musik spricht einen auf einer sehr ursprünglichen Ebene an.
Genau das finde ich auch. Musik trifft direkt ins Herz und nimmt nicht den Umweg übers Gehirn wie bildende Kunst, Theater oder Literatur.
J: Musik ist eine zusätzliche Möglichkeit. Etwas, mit dem man seine Zeit verbringen kann.
Und eine Art der Kommunikation.
J: Und man muss sie nicht wörtlich verstehen. Sie kann den Tag verändern. Darum liebe ich sie. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich oft Leuten vorgespielt, die einen schlechten Tag hatten und es ging ihnen sofort besser. Das hat mich glücklich gemacht.
An diesem Abend machen sie die ungefähr 30 Anwesenden im einmaligen Kellerclub glücklich. Bei ihrem ersten Lied „Eye In The Sky“ stellen die Beiden eindrucksvoll ihr Beatboxing-Talent unter Beweis. Ich bin mir sicher, dass ein Lied über staatliche Überwachung noch nie so sinnlich und filigran vorgetragen wurde. Neben den Eigenkreationen finden sich auch drei Cover-Songs in ihrem Repertoire. „Say A Little Prayer“ ist ihre Gänsehaut verursachende Hommage an Aretha Franklin, die vor kurzem die weltliche Musikarena für immer verlassen hat. Mit „I Need A Little Sugar In My Bowl“, einem eindeutig zweideutigen Beitrag der „Kaiserin des Blues“ Bessie Smith, führen sie uns in eine Zeit, in der die amerikanische Populärmusik noch in den Kinderschuhen steckte. Den Abschluss eines überaus energiegeladenen und äußerst amüsanten Abends bildet Bill Withers’ „Grandmas Hands“.
Den Grund, warum das Duo gerade dieses Lied in seine Setlist aufgenommen hat, lieferte Anna zufolge Joels Großmutter. Als sie kürzlich bei dieser zu Besuch waren, durfte die Sängerin selbst miterleben, wie die alte Dame (die sehr rege aus Facebook unterwegs ist) allen Gästen Essen aufdrängte. Laut Joel ist das ein für sie besonders charakteristisches Verhalten. Reichlich und deftig muss es sein. Bei der Hochzeit seines Cousins ging sie gerade an Joel vorbei, als er sich mit bereits vollem Bauch noch einen Nachschlag Salat auftat. Mit gerümpfter Nase und verächtlichem Blick fragte sie: „What are you eating? Salad?!“ Ohne die Antwort abzuwarten, kehrte sie ihm den Rücken zu und ward verschwunden. Wohl um der Schmach eines Hasenfutter essenden Enkelsohnes zu entgehen.
Wenn er mit seiner Partnerin auf einer Bühne steht, muss sich Grandma definitiv nicht für ihn schämen. Zwar wird es auf ihrer Tour wohl kaum noch ein Venue geben, in dem ihr sie so intim wie hier erleben könnt, aber es sind noch ein paar Deutschlandtermine übrig: