Isaac Gracie: „Songwriting ist ein Kampf und oft sehr schmerzhaft.“

Verfasst von Pati am 20/05/18

Das Bi Nuu in Berlin befindet sich direkt im U-Bahnhof Schlesisches Tor. An diesem warmen Frühlingstag wirkt das Innere wie eine Oase der Ruhe inmitten des wuseligen Großstadttreibens. Auch hier wird gewuselt, aber meditativer. Jeder Handgriff wurde schon tausende Male ausgeführt, jeder weiß, was er tut. Ein geordnetes Wuseln also. Tausende Mal hat der Protagonist dieses Artikels das, was er am Abend hier tun wird, noch nicht gemacht – zumindest so noch nicht. Auch Interviews gehören noch nicht so zu seinem Alltag, wie bei einem Music-Biz-Veteranen, der abgeklärt hunderte Fragen beantwortet, wie er sie immer beantwortet. Isaac Gracie wirkt noch sehr unverbraucht in seiner etwas zurückhaltenden und sehr konzentrierten Art, in der er versucht, meine Neugierde zu befriedigen, die durch seine Musik geweckt wurde.

 

Aufmerksam wurde ich auf den jungen Singer-Songwriter im letzten Jahr durch seinen Song „Terrified“ in einer etwas raueren Version als der, die man auf seinem selbstbetitelten Debütalbum findet, das am 13. April veröffentlicht wurde (s. Video). Mich traf das Lied direkt ins Herz, was nicht sehr viele schaffen. Obwohl es von seinem kometenhaften Aufstieg in der Musikbranche berichtet und der Angst, die dieser in ihm losgetreten hat, kann man es auch auf die Liebe oder das Leben im Allgemeinen beziehen. So vielseitig der Text zu diesem Lied in seiner Interpretation, so vielseitig ist Isaac Gracie auch musikalisch. Mal folkish, mal grungig, mal ein wenig Bossanova... Geschickt und selbstbewusst bewegt er sich durch die verschiedensten Genres und Tonlagen.

 

 

Hat sich die Angst vor dem Erfolg nun gelegt? Wie ist es, das Kind einer Psychoanalytikerin zu sein? Und welche Rolle spielt die Religion im Leben des ehemaligen Chorknaben? Das findet ihr heraus, wenn ihr weiterlest.

 

Das ist die erste Tour, nachdem dein Debütalbum rausgekommen ist. Wie läuft’s bisher?

Es macht viel Spaß. Es ist schön, unterwegs zu sein, Leute zu treffen, die das Album gekauft haben und es mögen, und es täglich live zu spielen. Ich war auch an Orten, an denen ich noch nicht gespielt habe. Es ist eine schöne Erfahrung.

 

Sind die Konzerte anders als die vor Veröffentlichung des Albums?

Ja, weil die Leute jetzt die Lieder besser kennen und weil ich Songs spielen kann, die ich vorher noch nicht rausgebracht hatte. Jetzt fühle ich mich mit der Musik auch viel wohler, sie zu spielen ist etwas ganz Natürliches. Es tut gut, sich auf der Bühne mehr zu Hause zu fühlen.

 

Für dich ging’s auf der Erfolgsleiter ganz schön steil nach oben. Anfangs hattest du damit Probleme. Wie geht es dir jetzt damit und was verhindert, dass du Starallüren entwickelst?

Ich weiß nicht. Es ist schwierig, einen Überblick über so ein komplexes Leben zu bekommen. Ich lerne immer noch täglich dazu und bin zufrieden mit meinem Leben. Ich denke, so geht es den meisten Menschen. Ich habe mit Verschiedenem zu kämpfen, wie damit, dass viele Menschen mich und meine Musik kennen, dass ich der Welt persönliche Dinge mitteile und dass ich erwachsen werde. Aber mit Anfang 20 geht es uns allen so, dass wir uns neu kennenlernen in einer Welt nach der Schulzeit und außerhalb der gewohnten Familienstruktur. Das ist eine bedeutende Zeit im Leben. Ich genieße das Gefühl vorwärts zu kommen und mich mit meinem Selbst wohler zu fühlen.

 

Du hast gerade erwähnt, dass du persönliche Dinge über dich preisgibst. Wie fühlt es sich an, vor Hunderten Leuten über deine tiefsten Gefühle und deine Ängste zu singen?

Für mich ist es nichts Unangenehmes, weil ich diese Erfahrungen oder Gefühle in etwas Kreatives verwandele. Wenn man kreativ ist, will man das ja mit anderen teilen. Ich finde es typisch menschlich, dass man sich über solche Dinge austauschen möchte, weil viele dasselbe durchmachen. Das verbindet und gibt einem die Kraft weiterzumachen. Für mich ist es heilsam, dass ich solche Gefühle nach außen hin abgeben kann, wo sie andere aufnehmen und verarbeiten. Außerdem erinnere ich mich so besser an die Erfahrungen und es gibt ihnen einen Sinn. So leben sie weiter.

 

Deine Mutter ist Psychoanalytikerin. Über die Kinder von Psychologen und Lehrern wird gesagt, dass sie den größten Schaden haben.

Ach echt?

 

Ja. Ich bin eine Lehrerstochter, aber ich  finde mich eigentlich ganz normal...

Ich bin mir noch nicht ganz sicher... (lacht)

 

An deinen Texten merkt man, dass du sehr reflektiert bist. Hat deine Erziehung dich dazu gebracht, mehr über deine inneren Prozesse nachzudenken?

Ich denke schon. Die Grundlage von Psychoanalyse und Psychotherapie im Allgemeinen ist ja, dass man über sich selbst spricht und sich mit dem auseinandersetzt, was man fühlt und worunter man leidet. Das ist auch mein Ansatz beim Musikmachen, dass ich offen bin und es – wie das klassische Klischee besagt – als Therapie nutze. Wenn man in Therapie ist, macht es keinen Sinn, den Therapeuten anzulügen. Das wäre Zeitverschwendung. Warum sollte ich lügen, wenn ich meine Songs schreibe? Für mich macht es viel mehr Sinn zu versuchen, die Wahrheit zu finden, was oft sehr schwer ist. Songwriting ist ein Kampf und oft sehr schmerzhaft. Es tut weh, sich den Gefühlen zu stellen, aber mindestsens genau so, es nicht zu tun.

 

Freud oder Jung?

Freud. Meine Mutter ist Analytikerin in der Tradition Freuds. Ich weiß nicht, ob sie gar nichts mit Jung anfangen kann, aber sie hat alles von Freud gelesen. Keine Ahnung, was das über sie sagt, oder auch über mich, aber es wird oft falsch verstanden, wofür Freud steht.

 

Ich fühle mich eher zu Jung hingezogen, weil er intuitiver war...

Und fürsorglicher, aber das wird auch immer so dahingesagt. Meine Mutter ist auch introspektiv, fürsorglich und ruhig. Wenn etwas über Freud gesagt wird, denke ich deswegen immer, dass es auch eine Seite von ihm geben muss, die viele nicht kennen, weil meine Mutter sonst nicht mit seinen Lehren arbeiten würde. Die Popkultur kennt sicher nicht das Ganze Bild.

 

Menschen brauchen Klischees, um Dinge besser zu verstehen.

Ja, wie wenn Leute sagen, ich sei wie Jeff Buckley. Stimmt zwar nicht, aber wenn es euch glücklich macht...

 

Oder noch schlimmer: Macaulay Culkin. Wollte ich ja eigentlich gar nicht erwähnen...

Vielen Dank, wollte ich auch nicht. (lacht) Das schmeichelt mir nicht gerade.

 

Stimmt. Du hast als Chorknabe angefangen. Was für eine Rolle haben Religion oder die Kirche in deinem Leben gespielt?

Ich war nie religiös, aber ich mochte es, in Kirchen zu singen und mir gefiel die Musik. Ich mag auch das Pompöse und dass einem etwas so wichtig ist. Es lehrt einen, Dinge wichtig zu nehmen. Wie Geduld, Ruhe und sich selbst in etwa ergeben, das einen bewegt, Das hat mich immer inspiriert. Auch die Musik bewegt einen und die Texte erzählen von Jesus, der für uns starb. Also ziemlich harter Tobak. Für mich war das ein gutes Umfeld, um meine Leidenschaft für Musik zu entwickeln.

 

Die Kirche war ja auch immer schon eine bedeutende Inspirationsquelle für Künstler und Komponisten.

Absolut. Sie hat auch so viel großartige Musik hervorgebracht. 

 

Warum liebst du Musik?

Das hat sich sehr verändert. Ich habe Musik auf unterschiedliche Weise geliebt. Als Kind habe ich unbewusst geliebt zu singen und ich war stolz darauf, etwas zu singen, das ich toll fand. Erst im Rückblick weiß ich, wie sehr ich es tatsächlich geliebt habe, im Chor zu singen und wie sehr es mich auf spiritueller Ebene bewegt hat. Als Teenager habe ich dann meinen eigenen Musikgeschmack entwickelt, durch den ich meine Persönlichkeit ausgedrückt habe. Vieles hat mich inspiriert und das Leben lebenswerter gemacht. Oft haben mir Songs geholfen weiterzumachen. Musik kann zu einem Rückgrat werden, wenn man selbst keines hat, und einen so aufrecht halten. 

 

Sein langes, goldblondes Haar, das zum Interview noch kunstvoll zusammengeflochten war, trägt er auf der Bühne offen, das Outfit ist dasselbe geblieben. Das Sakko war Liebe auf den ersten Blick und Isaac bemerkt selbst, wie gut er darin aussieht. Bei jedem anderen würde das wie eine narzisstische Entgleisung wirken, ihn macht es noch sympathischer. Man merkt sofort, dass es keine leere Behauptung von ihm war, als er meinte, er fühle sich auf der Bühne mehr zu Hause. Keine Spur von Schüchternheit, ein lockerer, souveräner Austausch mit dem Publikum und eine absolut bewegende Performance. Was er vorher über den Effekt von Kirchenmusik gesagt hat, erfahre ich bei seiner am eigenen Leib. Seine Songs berühren mich. Noch viel mehr als auf dem Album. Was für ein Talent!

 

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