Verfasst von Pam am 10/02/17
Von den Allgäuer Alpen ins Weltall - Rainer von Vielen haben ihre Astronautenanzüge angezogen und sich auf den Weg in die Weiten des Universums gemacht. Irgendwo zwischen Mars und Venus sind sie auf ein schwarzes Loch voller Chaos gestoßen.
Diese unendliche Leere voller Wirrwarr hat sie so inspiriert, dass sie nach ihrer Landung sofort ins Studio gezogen sind. Kein Wunder, dass sie ihre neue CD „Überall Chaos“ genannt haben. (VÖ: 3. Februar 2017)
Cause We Love Music hat Sänger und lyrischen Mastermind von Rainer von Vielen vor dem Konzert im Münchner Feierwerk getroffen. Natürlich wollen wir als erstes wissen, wie es sich anfühlt, dass Chaos zu beherrschen. Außerdem erfahrt ihr, warum das neue Album düsterer und rockiger geworden ist. Und wie viele Rainers beim Konzert auf der Bühne stehen.
Euer neues Album heißt Überall Chaos. Wie kam es zum diesem Titel?
„Überall Chaos“ ist ein Zitat aus dem Song Divan, der auch unsere erste Singelauskopplung ist. Der Song beginnt mit der Zeile „Wieder spielt alles verrückt, es ist überall Chaos“. Wir fanden das sehr passend für die ganze Scheibe, weil sie im Vergleich zu unseren anderen Scheiben etwas düsterer und rockiger geworden ist. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir uns mit dem Weltgeschehen auseinandersetzen. Es geht in mehreren Stücken um diese scheinbar schier unüberwindbare Masse an Dingen, die falsch laufen. Deswegen passt der Titel Überall Chaos ganz gut für das ganze Album Es geht ja auch immer darum, einen treffenden Titel für alle Songs auf dem Album zu finden. Und dieser Titel trifft das thematisch eigentlich ganz gut. Wir haben auch die Klammer gemacht zu dem letzten Song auf dem Album, der wieder sehr versöhnlich ist. Aneinander Rauschen gibt dem Ganzen dann doch eher eine positive Message.
Divan beginnt mit dem Rainer von Vielen-typischen rappigen Sound. Wechselt dann aber in einen orientalischen Singsang. Wolltet ihr damit polarisieren?
Ich finde den Song gar nicht so polarisierend. Er kommt relativ gut an bei den Radiostationen. Aber Divan ist natürlich kein Popsong in dem Sinn, dass er auf Bayern3 läuft. Das war uns durchaus bewusst.
Das war ja auch nicht das Ziel, oder?
(lacht) Wir würden uns nicht beschweren, wenn Bayern3 uns mal spielen würde.
Ich mich auch nicht.
Na eben. Durch die Elemente, die der Song hat, kann er vielleicht etwas befremdlich wirken. Es ist sehr geschmacksabhängig, ob man sich drauf einlässt oder nicht. Aber er wirkt. Und er trifft durch die Auswahl der Stilmittel für mich schon diese Emotionen, die ich da reinpacken wollte.
Das Wort „Divan“ hat mehrere Bedeutungen. Es steht einerseits für „Sofa“, andererseits auch für „arabische Gedichtsammlung“. In dem Lied versinkt ihr in den Kissen. Ihr singt also übers Sofa.
Ja, wir versinken im Sofa. Aber wenn ich Divan höre, habe ich auch immer Goethes West-östlichen Divan im Hinterkopf. Im normalen Sprachgebrauch ist das Wort nicht so präsent. Der orientalische Divan schwingt immer irgendwie mit. Ich habe vor kurzem gehört, dass Goethe sein Werk auch geschrieben hat, um einen Brückenschlag zwischen Orient und der westlichen Welt zu machen. Er hatte den Diwan des persischen Dichters Hafis gelesen und fand das Werk einfach schön und voller Kraft. Goethe war so begeistert davon, dass er es den Menschen hier zugänglich machen wollte. Er wollte zeigen, dass es die gleiche Erlebniswelt ist wie unsere. Dass dahinter wunderschöne Poesie steckt. Diesen Gedanken finde ich toll. Auf musikalischer Ebene passiert bei uns dasselbe. Ich mache über den kühlen Rap in Kombination mit diesen verschnörkelten arabesken orientalischen Melodien genau diesen Brückenschlag. Auch für mich persönlich. Ich versuche diese Ebenen zu verbinden. Z.B. bei der Flüchtlingsproblematik, die mich gerade sehr beschäftigt. Ich frage mich, wie man das alles in die Welt, in der wir jetzt leben, integrieren kann.
Ihr spielt in vielen Liedern mit spannenden Gegensatzpaaren. In der Literatur nennt man das „Oxymoron“. Eine rhetorische Figur, die einen leeren Raum schafft, den die Zuhörer selber besetzen können.
Kopf und Zahl ist sicher einer dieser Songs, in dem ich Gegensatzpaare aufzeige. Ich glaube, dass wir alle bestimmte Themen mit uns herumtragen und diese auch verarbeiten. Das sind aber eher Themenkomplexe, die nicht unbedingt nur schwarz/weiß sind. Von einem Themenkomplex haben wir meisten beide Seiten in uns. Man kann, zum Beispiel, eine extreme Eigenschaft haben, ein besonders lauter, extrovertierter Mensch sein, der die ganze Zeit Späße macht. Der in der Gesellschaft nach Aufmerksamkeit heischt und aus sich rausgeht. Man hat den Eindruck, dass dieser Mensch happy und selbstsicher ist. Aber oft sind das Menschen, die ein Problem mit der Ruhe haben, wenn sie alleine sind. Und dann verfallen sie in eine Depression. Das ist jetzt nur ein Beispiel, das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Aber meine Beobachtung ist, dass da, wo eine Amplitude in die eine Richtung geht, auch oft die Amplitude genauso in die andere Richtung geht. Deswegen zwei Seiten der Medaille. Ein Themenkomplex, den wir in uns tragen hat meisten beide Ausformungen in beide Richtungen. Ich sehe unser Leben da auch mehr als Wellenform.
In euren Liedern schwingen viele Facetten mit: das Brachiale, das Verträumte, das Archaische. Wer ist Rainer von Vielen und wenn ja, wie viele?
beim Lirekonzert steht da zu einem eine Partysau auf der Bühne. Zum anderen ein verträumter Poet. Dann steht da noch ein zorniger Rebell, der auf die Barrikaden geht. Und vielleicht auch mal ein nachdenklicher, introvertierter Mensch, der sich gerne schwarz kleidet und in der Nacht versinkt. Das sind die vier Grundcharaktere, aber man findet auf jeden Fall noch mehr, wenn man weitersucht.
Ich habe im Song Herz auf Hand auch einen Captain Ahab gefunden, einen Anarchisten. Dieses Lied hat was von Hamburger Freiheit.
Hamburg ist eine Stadt, die wir gerne mögen. Viele Menschen aus unserem Freundeskreis sind aus dem Allgäu nach Hamburg gezogen. Als Allgäuer fühlt man sich dort wohl. Vielleicht liegt das daran, dass man im Allgäu mit einer großen Naturgewalt konfrontiert ist – nämlich den Bergen, mit sehr viel Weite. In Hamburg hat man das Meer, die Weite des Meers. Vielleicht ist das etwas, das sich die Hand reicht.
Euer Album passt gut zu dem Begriff Bastard-Pop. Es gibt von allem etwas und daraus macht ihr etwas ganz Eigenes. Hattet ihr einen roten Faden, als ihr die Platte gemacht habt? Führt die Musik die Texte oder die Texte die Musik?
Wir sind nicht rangegangen wie an ein Konzeptalbum. Bei uns entsteht viel übers Machen. Und in dem Zeitraum, in dem wir machen. Es passiert dann eher in der finalen Studiozeit, dass wir aus einem Sammelsurium aus Liedern die auswählen, die zusammenpassen. Das ist eher eine emotionale Geschichte, also intuitiv. Es kann auch sein, dass wir sagen: „Das passt jetzt überhaupt nicht. Das lassen wir lieber weg.“ Jeder Song ist ein Projekt und im Albumkontext wird dann bei der Songauswahl geschaut, welchen großen Bogen man spannt.
Rainer von Vielen hat 2005 mit dem Lied Sandbürger den fm4 Protestsongcontest gewonnen. Ihr macht also Musik mit konkreter - auch politischer - Aussage. Trotzdem seid ihr textlich offen, man kann bei euren Liedern auch zwischen den Zeilen lesen.
Für mich ist gerade diese Offenheit wichtig. Für mich ist Musik etwas sehr Emotionales. Und um sich emotional öffnen zu können, braucht man Musik, die keine allzu strengen Vorgaben macht. Ich möchte Musik so hören, dass ich mich selbst drin wiederfinden kann. Auch in verschiedenen Situationen drin wiederfinden kann. Deswegen gestalte ich die Songs und die Texte ganz bewusst offen. Politisches Engagement und kritische Aussagen kann ich ja trotzdem darin unterbringen. Aber ich will den Hörer auch nicht abschrecken. Mein Ziel ist, mit der Musik Menschen zu verbinden. Konkrete Aussagen zu machen würde meiner poetischen Ader widersprechen. Ich spreche gerne in Bildern und suche passende Metapher. Mit konkreten Aussagen würde ich nur die Leute ansprechen, die sowieso schon diese Thematik für sich vereinnahmt haben. Mein Ziel ist es, mit der Musik zu bewegen. Die Menschen zum Bewegen zu bewegen. Rainer von Vielen macht ja meistens Tanzmusik mit dem Ziel, dass man dazu feiern kann. Aber gleichzeitig habe ich schon den Anspruch, auch Themen in der Musik zu verarbeiten, die mich beschäftigen. Das können politische Themen sein, oder gesellschaftskritische Dinge, oder auch einfach persönliche emotionale Geschichten.
So ein Divan ist bequem. Wer sollte dort neben dir sitzen?
Sicher jemanden, mit dem ich ein interessantes Gespräch führen kann. Aktuell fallen mir da einige Leute ein. Allerdings möchte ich keinen Politiker neben mir sitzen haben, das wäre mir um die Zeit zu schade. Es müsste jemand sein, mit dem ich mich wohl fühle. Jemand, von dem ich mir erhoffe, dass ich meine Gedankenwelt mit ihm teilen kann. Jemand, der meine Gedankenwelt voranbringt, der ihr ganz neue Aspekte hinzufügen kann. Ganz konkret fällt mir da Konstantin Wecker ein. Mit dem würde ich gerne auf dem Divan sitzen und gemütlich quatschen.