Sundara Karma: Die Rock-Stars von heute...

Verfasst von Pati am 30/12/17

Wie die Zeiten sich ändern... Wenn man vor zehn Jahren zu einem Interview mit einer jungen, aufstrebenden Band ins Venue kam, dann begrüßte die einen meist mit einer Pulle Bier in der Hand, die oft schon nicht mehr die erste war. Die alten Musikerhasen von The Kooks taten uns, als wir sie im Juni vors Mikro bekamen, ebenfalls kund, sie hätten jeder schon mindestens drei Flaschen Hopfiges intus. Sundara Karma, deren Name allein schon sehr zenmäßig klingt, sind eine Band der neuen Generation, die offenbar einen Paradigmenwechsel beim Rockstar-Image einläutet.

 

Dom Cordell (Bass) und Ally Baty (Gitarre) täuschen zwar vor, dem Alkohol nicht abgeneigt zu sein, doch ihr Lob des deutschen Gerstensaftes ist sicherlich nur ein nett gemeintes Gastgeschenk oder eine von ihrem Label kolportierte Höflichkeitsfloskel, um sich mit den Deutschen, die so stolz auf ihr Reinheitsgebot und die weltweit so gerühmte Qualität ihrer Brauerzeugnisse sind, gut zu stellen: „Sagt das mal, dann freuen die sich...“ Oder aber – und das bringt uns direkt zum ersten Funfact über die Band, der unser Interesse geweckt hat – sie sind einfach gut erzogen und zwar durch ihre Schulzeit in einem katholischen Jungeninternat, dem letzten seiner Art in England, wo alle außer Drummer Haydn Evans die Schulbank gedrückt haben.

 

Wie hat diese Erziehung sie beeinflusst? Dom malt ein eher düsteres Bild: „Es war wie in einer Kiste zu leben, in der einem nicht gesagt wurde, was außerhalb so passiert.“ Obwohl alle außer Oscar, ihrem Frontmann, zu Hause und nicht im Internat wohnten, sie also durchaus etwas von der „realen Welt“ mitbekamen, hatten sie das Gefühl, ihre christlich gesinnten Lehrer wollten den Schülern „ihre Gedanken aufzwingen“. Hat das den Kampfgeist in ihnen geweckt und den Wunsch, etwas zu machen, das früher definitiv die Sittenwächter auf den Plan gerufen hätte und auch heute in sehr konservativen, kirchlichen Kreisen noch nicht als ganz persilrein gilt, nämlich Rock-Musik? Mit dieser Vermutung laufe ich allerdings ins Leere. Rebellen seien sie keine, aber sie wollten auf jeden Fall „in die wirkliche Welt ausbrechen“, wie Ally es formuliert. Dom hat sich noch schneller als seine Bandkollegen von der Schule und ihrer Erziehung distanziert und Fahnenflucht begangen. Oscar blieb am längsten und wohnte als Einziger auch im Internat, weil er in Singapur geboren wurde und sein Vater immer noch oft auf Geschäftsreise war.

 

Ok, die Erziehung ist wohl nicht hauptverantwortlich für ihr so gar nicht rockstarmäßiges Verhalten, das nicht nur das Nicht-Konsumieren von Alkohol (auch auf der Bühne blieb es in der Hinsicht trocken), sondern auch eine vegetarische (Dom und Ally) bzw. vollkommen vegane Ernährung (Oscar und Haydn) mit einschließt. Wo kann man also noch ansetzen? Vielleicht führt uns ja ihr Bandname auf den richtigen Weg... Sundara Karma bedeutet so viel wie „schönes Karma“. Karma sollte auch allen Nicht-Buddhisten als Begriff geläufig sein und bezeichnet ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich eine Folge hat. Na, das klingt doch schon mal nach einem validen Hinweis. Zu viel Alkohol führt meistens zu Kopfschmerzen, wenn nicht Schlimmerem. Sind die vier also zum Buddhismus konvertiert und haben so doch noch die ultimative Rebellion gegen ihre erzkatholische Erziehung geführt? Auch damit liege ich nicht ganz richtig, wie mich Dom aufklärt: „Wir sehen Buddhismus nicht als Religion, sondern als Leitfaden, Gutes zu tun und positiven Einfluss auszuüben.“ Aha, aber das ist ja schon mal was.

 

Was tun sie denn dann, um gutes Karma zu sammeln? Wieder ist Dom der Schnellere beim Antworten: „Meine Hunde und Katzen füttern und der beste Mensch sein, der man sein kann.“ Und das bedingt eben auch ihre fleischlose Ernährung. Bei so viel Gutmenschentum möchte ich aber auch etwas über ihre dunkle Seite erfahren: Was haben sie getan, dass es wahrscheinlich macht, dass sie als Wurm wiedergeboren werden? Hätte ich Dom während des mittlerweile zehn Minuten andauernden Gesprächs nicht als sehr netten und zuvorkommenden jungen Mann erlebt und durch die Anwesenheit zahlreicher anderer Menschen im Venue die Sicherheit gehabt, dass meine Schreie im Notfall gehört werden, hätte ich jetzt mit einer fadenscheinigen Ausrede wie: „Böses Ührchen, ich habe ja ganz vergessen, dass ich heute noch zum AA-Meeting muss“, einen schnellen Abgang hingelegt, denn von vielen anderen kommend wäre seine Antwort mehr als beunruhigend gewesen: „Ich hab mal jemanden umgebracht.“ Wahrscheinlich war es nur ein verzweifelter Versuch, doch noch am richtigen Rock-Star-Image zu feilen. Sorry, aber da muss er sich schon mehr anstrengen!

 

Und als sei es nicht schon brav und possierlich genug, machen wir nun noch einen Ausflug in die wunderbare Welt der Tiere. Als was würden sie denn gerne wiedergeboren werden, vorausgesetzt es gibt so etwas wie Reinkarnation? Da muss Ally nicht lange überlegen: „Ich wäre gerne ein Krake. Die können Haie um bringen.“ Ähm, ja... Die haben auch noch total geniale Flucht- und Täuschungsmanöver auf Lager, aber im Ernst? Dom geht auch diese Frage eher wieder philosophisch an und überlegt laut, dass es ja vielleicht so ist, dass man erst immer als Mensch wiedergeboren wird und auf höheren Stufen der Erleuchtung dann als Tier. So wie manche Artgenossen sich verhalten, bin ich tatsächlich geneigt, diesen Gedanken nicht ganz von der Hand zu weisen. Und auch mit dem, was er nachschiebt, hat Dom nicht ganz unrecht, wenn es auch etwas radikal wirkt: „Wir sehen uns als Götter. Ich fänd es echt gut, wenn die Menschheit mal wirklich kurz vor der Ausrottung stehen würde, damit wir sehen, dass es nicht so ist.“ Aha, doch ein Revoluzzer! 

 

Und da findet sich auch schon das letzte Puzzleteil in unserer detektivischen Suche nach dem Ursprung des oft biederen Verhaltens junger Bands: „Rockstars sind keine Götter mehr, weil man heute mit seinen Idolen viel eher in Kontakt treten bzw. ihrem Leben über die sozialen Netzwerke folgen kann.“ Sich enigmatisch zu geben, ist also zu viel Arbeit. Doch ihr Frontmann Oscar schafft es immerhin, mit seinem androgynen Auftreten die Geschlechterrollen infrage zu stellen. Laut seinen Bandkollegen will er die Grenzen zwischen Mannsein und Frausein ausloten und mit dem alten Schubladendenken aufräumen.

 

Nach all unserer Forschungsarbeit sind Fragen zu ihrer Arbeit schändlichst ins Hintertreffen geraten. Wie läuft denn ihre erste eigene Headline-Tour in Europa? „München ist unser dritter Termin. Berlin war ausverkauft“, lässt uns Dom zufrieden wissen. In allen Venues waren sie schon mal, in München vor zwei Jahren als Support der fantastischen Circa Waves (hier geht’s zum Interview). Da macht es schon stolz, wenn sie nun selbst die Hallen füllen. Ihr Debütalbum trägt den Titel „Youth Is Always Ever Fun In Retrospect“. Für jemanden wie mich, der locker ihre Mutter sein könnte (heul), klingt das aus der Feder von Anfang Zwanzigjährigen fast wie gemeiner Hohn. Wie kann man das beurteilen, wenn man selbst kaum Haare auf der Brust hat? (Also, ich als Frau hab die natürlich nicht, aber ich brauchte ein griffiges Bild für ihre Jugendlichkeit...) Darauf weiß Ally die richtige Antwort: „Wenn man zurückblickt auf die Zeit, in der man 14 war, hätte man sie mehr genießen sollen, als nur älter werden zu wollen.“ Ok, das lass ich gelten. Trotzdem... Die Arbeit am Nachfolgealbum ist scheinbar auch schon in vollem Gange, zumindest wissen die Jungs, wo es damit hingehen soll: „Das erste Album war übers Erwachsenwerden, das zweite wird mehr wie wir sind. Wir kennen uns jetzt besser und wissen mehr über die Welt.“ Weise Worte von sehr reflektierten jungen Männern. 

 

So zurückhaltend sie im Interview waren, so sehr haben sie es dann später auf der Bühne krachen lassen. Die Haare wild schwenkend – alle tragen sie im 90er-Jahre-Hardrock-Stil – und mit mächtig Wumms bringen sie die Kranhalle im Münchner Feierwerk in der vorweihnachtlichen Zeit zum Schwitzen und Mittanzen und sind bei den Mädels in der ersten Reihe ganz sicher die Protagonisten einiger unkeuscher Gedanken. 

 

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