Temples: "Let your freak flag fly!"

Verfasst von Pati am 11/04/17

Wenn man es mit seinem Debütalbum direkt in die britischen Top 10 schafft und die Aufmerksamkeit so namhafter Kollegen wie Noel Gallagher und Johnny Marr erregt, ist es erfahrungsgemäß nicht ganz einfach, mit dem Nachfolger noch eins draufzusetzen. Wenn man dann auch noch versucht, sich musikalisch zu verändern, läuft man Gefahr, Fans und Kritiker vor den Kopf zu stoßen. Wie kann man sich um Gottes Willen nur weiterentwickeln wollen?!

 

Eine Reaktion, die die vier Mitglieder der britischen Band Temples, James Bagshaw (Gesang), Thomas Walmsley (Bass) Adam Smith (Keyboard und Gitarre) und Samuel Toms (Schlagzeuger), vor Kurzem auch zu ihrem Erfahrungsschatz hinzufügen konnten. Gerade unterwegs in Deutschland, um ihr im März erschienenes zweites Album „Volcano“ vorzustellen, hatte Cause We Love Music die Gelegenheit, sich mit ihnen über schreckliche Rezensionen, den Tod und böse Aliens, die die Weltherrschaft an sich gerissen haben, zu unterhalten.

 

Ihre vermeintliche Abkehr vom Psychedelic Rock der auf ihrem Erstling „Sun Structures“ allgegenwärtig ist, von dem man aber doch auch einiges auf der neuen Scheibe hört, ist zumindest ihren Anhängern nicht negativ aufgefallen. „Die Fans scheinen es zu mögen. Zumindest konnten wir das bei unseren Live-Shows sehen,“ meint Adam zufrieden. Da grätscht ihm direkt Bandkollege Sam dazwischen: „Es gab aber ein paar nicht so gute Bewertungen in der britischen Presse.“ „Ja, sogar eine richtig schreckliche“, gibt der Keyboarder daraufhin zu. „Ich glaube, sie fing ungefähr so an: ‚Verdammt, was ist denn mit denen passiert?’“ So etwas kann ja schon am künstlerischen Selbstverständnis nagen, aber den beiden ist das ziemlich egal. Ihrer Aussage nach fanden sie es eher lustig und Menschen, die wollen, dass sie immer wieder dasselbe Album machen, halten sie für Langweiler. Viel wichtiger ist es ihnen, dass es ihren Fans gefällt und die das Album kaufen. Durchaus nachvollziehbar. 

 

In einem anderen Interview habe ich etwas gelesen, dass ich sehr interessant fand, deswegen hake ich da mal nach.

 

Adam, du hast in einem neulich gesagt, dass das neue Album wie eine Therapie war. Wie genau hast du das gemeint? 

Adam: Die Texte haben alle mit inneren Konflikten zu tun. Jeder behandelt einen anderen Aspekt der menschlichen Psyche. Deswegen war es wahrscheinlich therapeutisch, sie zu schreiben, und vielleicht ist es auch therapeutisch, sie zu hören. 

Sam: Jeder interpretiert sie auf seine Weise.

Adam: Bei diesem Album sind die Texte auch viel direkter und man versteht sofort, worum es in den Liedern geht. Auf dem ersten war das alles noch viel vager. Wir wollten mit diesem Album die Zuhörer viel direkter ansprechen. 

 

Statt der 60er-Anleihen, die sie auf „Sun Structures“ sehr offen vor sich hertragen, höre ich auf „Volcano“ ziemlich viel, was an die 70er erinnert.  „Certainty“ zum Beispiel klingt für mich wie die Titelmelodie zu einer TV-Serie aus dieser Ära. „Stimmt“, meint Adam, „wie von einer Kinderserie.“ Ich hab direkt so was wie „5 Freunde“ im Kopf. Kids, die in ihrem langweiligen Heimatort Detektiv spielen. 

 

Zu diesem Jahrzehnt passt auch Adams überdimensionierte Brille. Doch sie ist nichts gegen das Outfit, das ich am Bassisten Thomas gesehen habe, als er mir draußen über den Weg gelaufen ist. Erst dachte ich, ich sei Mireille Mathieu begegnet, die ja auch in den 70ern ihre größten Erfolge gefeiert hat, aber das wäre im Münchner Strøm doch etwas zu ungewöhnlich. Der musikalische Sprung in das Nachfolgejahrzent war aber keinesfalls beabsichtigt. „Keiner von uns versucht, etwas Bestimmtes zu schreiben. Es kommt einfach aus einem raus,“ hat Sam dazu zu sagen. 

 

Schönes Stichwort, den „Don’t try“ war schon Thema bei einem Interview, dass ich vor ein paar Tagen mit ihren Alt-Rock-Kollegen Deaf Havana geführt habe. Sänger James Veck-Gilodi zieht seine Einflüsse unter anderem vom amerikanischen Schriftsteller Charles Bukowski. Sein Motto beim kreativen Prozess war eben dies: „Don’t try.“ Wenn nichts passiert, warte einfach noch ein bisschen, aber versuche nichts zu erzwingen.

 

Sam: Das muss man vielleicht, wenn man ein Konzeptalbum über Obst macht.

Adam: (lacht) Dann hat man Lieder mit Titeln wie „Zitrone“ oder „Orange“.

Sam: Das wird dann unser drittes Album.

 

Um noch mal auf eure Single „Certainty“ zurückzukommen: Franz Ferdinand haben gerade ein Remix davon rausgebracht. James meinte, er wollte eine Disney-Melodie kreieren, die aber auch etwas Dunkles hat. Ich finde, Franz Ferdinand betonen diese dunkle Seite sehr stark. Es hat nichts mehr von der Leichtigkeit.

Adam: Ich finde, es hat immer noch was Leichtes und ist sehr tanzbar und etwas albern.

 

Ja, aber es hat was sehr Dunkles.

Sam: Weil sie nur die Mollakkorde spielen. 

Adam: Je öfter ich es mir anhöre, desto besser gefällt es mir.

 

Und es klingt immer noch wie die Titelmelodie einer 70er-Jahre-Serie. Nur dass in dieser böse Aliens die Welt erobert haben und ein paar Menschen versuchen, sie zu bekämpfen.

Adam: (lacht) Das ist mal ein cooler Gedanke!

Sam: So hätten wir das Video machen sollen. 

Adam: Aber es sind ja zumindest ein paar Aliens dabei.

 

Und jetzt kann ich es mir mal wieder nicht verkneifen, ein unangenehmes und sehr leidiges politisches Thema anzusprechen.

 

Für euch tut sich da mit dem Brexit ja jetzt gerade Einiges. Wie seht ihr das alles?

Adam: Ich glaube, keiner von uns kennt irgendjemanden, der aus der EU raus wollte. Wir sind immer noch total geschockt. 

Sam: Unsere Musik hat das aber nicht beeinflusst, weil alles schon geschrieben war, bevor das passiert ist. Neulich hat mir jemand einen Artikel weitergeleitet, in dem stand, dass jeder für sich entscheiden kann, ob er in der EU bleiben will oder nicht. Ich hab den aber nicht wirklich gelesen.

 

Vielleicht war’s eine Satire.

Sam: Vielleicht, aber klingt gut für mich. Ich versuch vielleicht, einen italienischen Pass zu bekommen. 

Adam: Klar, du bist ja Halbitaliener. Ich bin aus Wales, das hilft wohl eher nicht. (lacht)

 

Meint ihr, es hat Auswirkungen für euch? Zum Beispiel, wenn ihr auf Tour geht?

Adam: Ist im Moment schwer zu sagen, aber es könnte eventuell teurer für uns werden, auf dem Kontinent zu touren.

 

Zum Schluss noch mal zurück zum neuen Album, vom Artwork bis zum Inhalt. Song für Song.

 

Das Cover von „Volcano“ hat mich sofort an Mike Oldfields...

Adam: ...“Tubular Bells“ erinnert. Das war aber keine Absicht. Wobei, ich weiß es nicht genau, weil wir es nicht entworfen haben. Vielleicht hat der Designer das so geplant. Aber mir ging’s genauso. Das ist gut, denn das war ein tolles Cover.

 

Ich sehe da auch musikalisch ein paar Parallelen. Er hat auf dem Album auch auf der einen Seite so ein leichtes, verspieltes Element, auf der anderen Seite aber auch etwas sehr Dunkles. 

Adam: Ja, besonders bei unserem neuen Album gibt es einen krasseren Gegensatz zwischen Hell und Dunkel. Bei dem ersten gab es nicht so eine Bandbreite.

 

Ich finde die Songs auch kritischer als auf eurem Debüt. „All Join In“ ist für mich eine Kritik an Social Media.

Adam: So ist das auch gemeint.

 

Und „Roman God-Like Man“ könnte auf jeden Politiker heutzutage passen.

Adam: Ich denke nicht, dass es so gemeint war.

Sam: Es geht eher um Eitelkeit und Narzissmus.

 

Aber die meisten von ihnen sind ja Narzissten. Trump ist zum Beispiel höchstgradig narzisstisch gestört.

Sam: Sind wir das nicht alle irgendwie?

 

Findet ihr, dass man als Künstler kritische Lieder schreiben sollte?

Adam: Man muss es nicht, aber es ist interessant, so etwas anzusprechen. Besser als nur darüber zu schreiben, dass sie mich liebt oder eben nicht. Solche Lieder sind einfach langweilig. Auf dem neuen Album handelt kein Song von Beziehungen oder so was. Meiner Meinung nach gibt das nicht viel her. Vielleicht, weil ich noch kein Liebeslied geschrieben hab.

 

„How Would You Like To Go“ befasst sich mit dem Thema Tod, das besonders in der westlichen Welt ein Tabu ist. Und ihr seid noch dazu recht jung. Wie seid ihr darauf gekommen?

Adam: Ich denke, es ist wichtig, sich seiner Vergänglichkeit bewusst zu sein. Sobald man das ist, kann man das Leben noch viel mehr genießen. 

Sam: (lacht) Wir denken sowieso jeden Tag, dass wir sterben: „Ich hätte die Flasche Wodka nicht trinken sollen...“

 

„Celebration“ ist für mich wie die Essenz eurer Musik, denn darin heißt es: „I can’t seem to  keep my head in reality“. Sowohl das erste als auch das zweite Album erschaffen für mich eskapistische Landschaften, neue Welten, in die man entfliehen kann, wenn man keine Lust mehr hat, sich die schlechten Nachrichten anzuhören und eine Auszeit braucht.

Adam: Ich denke, beim neuen Album weniger, aber immer noch bei ein paar Liedern. Manche sind immer noch sehr eskapistisch, aber andere, wie eben „How Would You Like To Go“ sind das komplette Gegenteil und sehr realistisch. 

 

Ich meine auch nicht nur die Texte, sondern die Melodien, die einen in eine andere Welt entführen, wo das Wetter immer gut ist. Es ist wie eine Farbtherapie, weil ich immer bunte Bilder sehe, wenn ich sie höre.

Adam + Sam: Das ist toll.

 

Als Letztes würde ich gerne über „Strange Or Be Forgotten“ sprechen. Für mich ist das eine wundervolle Ode an alle Freaks, die besagt: „Sei so, wie du bist und schäm dich nicht dafür.“ Lebt ihr danach?

Adam: Ja, let your freak flag fly! Das ist die Aussage des Songs. 

Sam: Das haben wir auch ungefähr zu der Zeit geschrieben als Bowie gestorben ist. Er war so eine einflussreiche Persönlichkeit.

 

Ja, und er hat auch immer getan, was er wollte, ohne sich davon beeinflussen zu lassen, was die Leute gesagt haben. Auch jemand auf der Straße, der extravagant angezogen ist, hat er eine Story. Man kann nie sagen, was oder wer jemand ist.

Adam: Selbst wenn er nicht komisch angezogen ist, kann er ein Freak sein. Wie der Typ im Büro. 

 

Und da wären wir mal wieder bei der Frage „Was ist normal“? Aber die haben wir dann nicht mehr erörtert. Die vorher erwähnte Farbtherapie konnte jeder, der auf dem trotz des milden Abends ausverkauften Konzert war, dann am eigenen Leib erfahren. Wenn das nicht der perfekte Auftakt für den Frühling war!

 

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