The Blinders: „Wir wollen das Feuer anfachen.“

Verfasst von Pati am 6/6/18

Liverpool, Hamburg, Manchester. Ich kam mir langsam schon vor wie eins der zwei Königskinder, die einfach nicht zusammenfinden. Ein Interview mit der aufstrebenden britischen Band The Blinders schien schwieriger zu bekommen als eine Audienz beim Papst. Der Wille war zwar jedes Mal da, doch das Schicksal wollte es einfach nicht zulassen.

 

Zuerst wurde das Hope & Glory Festival in Liverpool nach einem Tag abgeblasen (wir berichteten), das Interview war für den zweiten terminiert. Dann hatten die drei Jungs aus Doncaster einen Auftritt im Molotow in Hamburg, doch der fiel aufgrund von Krankheit ins Wasser. Aber manche Dinge sollen einfach sein und so war der dritte Versuch, mich mit Thomas, Matty und Charlie zu weltbewegenden Themen auszutauschen, endlich von Erfolg gekrönt. Im Rahmen des erstmals stattfindenden Neighborhood Weekender Festivals in Warrington, genau zwischen Manchester und Liverpool gelegen, war es dann soweit. Glücklicherweise wurde dieses – auch wenn die Organisatoren bisher nur mit dem an einem Tag und in verschiedenen Clubs in Manchester ausgetragenen Neighborhood Festival Erfahrung gesammelt hatten – bis zum Ende durchgezogen. Und das richtig professionell und ohne Pannen (außer der chaotischen Verkehrssituation, die aber hauptsächlich durch den Streik der englischen Bahner verursacht wurde).

 

Wir alten Damen hatten uns ganz stilvoll VIP Tickets gesichert, um in den Genuss von „posh toilets“ zu kommen, dem vorrangigen Verkaufsargument für die das Doppelte kostenden Karten. Die Toiletten waren auch wirklich ihr Geld wert und auch das Umfeld, das wunderbar unüberfüllt und mit einem Hauch von „rubbing shoulders with the (rock) stars“ daherkam. So lief uns zum Beispiel Charlie von den Blossoms über den Weg, die uns letztes Jahr das zweite Interview für diese Seite gegeben haben.

 

Kurz nach diesem Treffen erspähten wir schon unsere neuesten Opfer und nagelten sie endlich fest. Thema unseres Verhörs: Revolution.

 

Ihr kommt aus Doncaster, richtig?

Matty: The Cold Fields of Yorkshire.

 

Da hatte ich mal ein richtig traumatisches Erlebnis.

Thomas: Oh, das musst du erzählen!

 

Es endete damit, dass ich in einem Hotelzimmer aufgewacht bin, ohne zu wissen, wie ich dort hingekommen war.

Thomas: Oh ja, es gibt schon einige Verrückte dort.

 

Ist das typisch für die Stadt?

M: In Doncaster hatten auch Bowie und Jagger ihre wilde Nacht.

 

Ach echt, das war in Doncaster?

M: Ja, im Earl of Doncaster.

 

Letztes Jahr hab ich Yungblud auf einem Mini-Festival in München gesehen. Er ist ja auch aus Doncaster...

T: Im Ernst? Unglaublich!

 

Wie ihr hat er recht sozialkritische Texte. Deswegen habe ich die gewagte These aufgestellt, dass Doncaster das Epizentrum der neuen musikalischen Revolution ist.

M: Großer Fehler!

T: Ich weiß nicht, ob es das Epizentrum der neuen musikalischen Revolution ist, aber sicherlich hat jeder, der aus Doncaster kommt, eine bestimmte Einstellung zu Politik. Dort wurde Tagebau betrieben und deswegen haben die Menschen eine Abneigung gegen die Regierung und die Polizei. Aber wir haben die Welt mit eigenen Augen gesehen und finden, dass jeder sich seine eigene Meinung bilden sollte. 

M: Lang lebe die Monarchie!

T: Das gerade nicht. Aber ja, dass wir aus Doncaster stammen, hat ganz klar unsere politische Einstellung beeinflusst.

 

Das ist interessant, das war mir nicht bewusst.

T: Das wurde auch lange vergessen. Doncaster lebt immer noch in den 1980ern. Seit die Zechen geschlossen wurden, sind wir vom Rest Englands quasi abgeschnitten. Das war die einzige Einkommensquelle der Arbeiter. Darüber könnte man eine wissenschaftliche Abhandlung schreiben.

M: Es ist wirklich interessant. Die Zeche in Hatfield wurde als letzte dichtgemacht.

 

Eure Lieder sind sehr kritisch und hinterfragen die bestehenden Verhältnisse. Für „ICB Blues“ habt ihr zum Beispiel das bekannte Archivmaterial verwendet, auf dem man hört, wie Eric Garner Polizisten sagt, dass er keine Luft bekommt. Kurz darauf war er tot. 

T: Stimmt. Das unterstützt noch die Atmosphäre. Damit halten wir es jedem noch mal konkret vor Augen. Wir hatten nie vor, politisch motivierte Musik zu machen. Diesen Song haben wir ganz spontan geschrieben, als die Sache mit Eric Garner passiert ist. Er wurde von Polizisten in New York stranguliert. Man erschafft Musik nicht, man nimmt eine Energie auf. Damals war die Energie politisch aufgeladen. Es passieren immer wieder schlimme Dinge und wir schreiben weiter Lieder darüber. Es muss darüber berichtet werden und Musik ist dafür eines der besten Medien.

 

 

Das wäre tatsächlich auch eine meiner Fragen gewesen, ob ihr euch bewusst dafür entschieden habt, politische Lieder zu machen oder ob es sich einfach so entwickelt hat.

T: Was sagen wir immer, Matt? Wir sind nicht Rage Against The Machine.

M: Wir schreiben über das, was heute wichtig ist, was uns persönlich betrifft. Vielleicht sind das irgendwann auch mal Lieder über Mädchen.

 

In einem Interview habe ich gelesen, dass besonders einer von euch von Bob Dylan inspiriert wurde, ich weiß aber nicht mehr wer.

M: Jeder sollte von Bob Dylan inspiriert sein. Er ist der beste Songwriter, den es je gab und je geben wird.

T: Er wusste, wann er etwas sagen musste. 

M: Alle Lieder sind Protestsongs.

T: Ich find’s toll, dass er das gesagt hat. Er wusste, wann er aufhören musste, nämlich als er zur Gallionsfigur der Bewegung wurde. Eine Protestbewegung sollte eine gemeinsame Mission sein. 

M: Er wurde als Kopf der Anti-Vietnam-Bewegung gesehen. Das ist eine unglaubliche Last, die keiner alleine tragen sollte.

T: Sie sollte von allen getragen werden. Das ist die Idee des Sozialismus. Es geht nicht um eine Person, um ein Idol. Das erste Mal, als Charlie und ich auf der Bühne standen, haben wir „The Times They Are A-Changin’“ gespielt. Das kann man sicher auf Youtube finden.* Da waren wir 14. Dieser Song hat unsere Ambitionen geweckt, politische Lieder zu schreiben und uns Gehör zu verschaffen.

 

* Leider haben wir es trotz intensiver Recherche nicht entdeckt. Falls jemand mehr Glück (und Ausdauer hat), kann er sich gerne über unser Kontaktformular bei und melden! Aber dafür gibt’s das Original:

 

 

Und das bereits in sehr jungen Jahren.

T: Ja, jetzt sind wir 21. Offensichtlich funktioniert das aber noch nicht so richtig. (lacht)

 

Da hast du eben schon zwei weitere Themen erwähnt, die ich ansprechen wollte. Das eine ist die Tatsache, dass der Sozialismus keine Führungspersönlichkeit braucht. Thomas, du hast auf die Frage, wen du gerne mal treffen würdest, geantwortet Leo Trotski. Für mich ist er einer der Vertreter, deren Idee des Sozialismus am idealsten erscheinen. Wie Sozialismus umgesetzt werden sollte und nicht, was zum Beispiel Stalin daraus gemacht hat.

T: Wir könnten uns den ganzen Tag darüber unterhalten, wie Stalin den Sozialismus in Verruf gebracht hat. Meiner Meinung nach hat Trotski den Marxismus in die richtige Richtung gelenkt. Aber man kann auch einwenden, dass er nie richtig umgesetzt werden kann, weil Menschen eben Menschen sind.

M: Eine Idee ist das eine, aber sie im wahren Leben umzusetzen, etwas vollkommen anderes.

 

Ich bin derselben Meinung. Jeder will ein Individuum sein und besser als andere.

T: Genau. Deswegen ziehen wir bald in eine Kommune, auf eine Farm. (lacht)

M: Wie hieß die eine noch mal? 

T: Wir werden ein neues Jonestown errichten.

 

Aber ohne das Massaker am Ende...

T: Ohne das Massaker.

M: Das wäre ein guter Anfang. (lachen)

 

Wenn ihr mit eurer Musik eine Revolution losstoßen könntet, würdet ihr es machen?

M: Gute Frage...

T: Ja, ist es... Das wäre sehr heuchlerisch, wenn wir sagen, dass eine Bewegung keine Führungspersönlichkeiten haben sollte. 

 

Jemand muss anfangen.

T: Ich würde gerne das Feuer anfachen. 

M: Im Grunde hat es ja schon angefangen. Die Idee gibt es ja schon.

T: Es gibt ja schon einen Konsens, nämlich den, dass die meisten Leute heute politikverdrossen sind.

M: Und nicht mehr zu einem Führer aufschauen.

T: Wie gesagt, ich würde gerne das Feuer anfachen. Wenn jemand unsere Musik hört und die Texte das wiedergeben, was er selbst fühlt, dann reicht uns das schon. Aber als Gallionsfiguren wollen wir uns eher nicht sehen. Da würde ich lieber sterben.

 

Im Grunde bewegt ihr ja auch schon was, wenn sich Leute von eurer Musik angesprochen fühlen und bei ihnen ein Umdenken stattfindet.

M: Die sollen die Revolution anfangen.

T: Genau deswegen schreiben wir diese Musik. Wir haben immer einen starken Refrain, den man mitsingen kann. Und wenn einem bewusst wird, was man da mitsingt, bewirkt das vielleicht was.

 

Ein Wort: Brexit.

T: Ich glaube, da haben wir einen ganz klaren Standpunkt, den wir auch ausdrücken.

M: Besonders wenn es ums Touren geht. Als im Vorfeld diese aufgeheizte Diskussion geführt wurde, habe ich mich mal informiert, wie teuer es werden würde, als englische Band in Europa auf Tour zu gehen. Das wird unsere Karriere extrem beeinflussen.

T: Aus musikalischer Sicht ist das ein Alptraum. Aus politischer Sicht hat man den Eindruck, dass die Leute einfach nicht wissen, was gut für sie ist. Das ist echt traurig, weil das unserer Überzeugung widerspricht, dass das Volk entscheiden soll. Denn wenn es entscheidet, ist man fassungslos.

 

Wie in Amerika mit Trump. 

T: Absolut.

M: Besonders die ältere Generation. Um es mit Bob Dylans Worten zu sagen: „Make Way for the new ones“. Ihr könnt das nicht zulassen. Durch euer Handeln sind wir am Arsch.

T: Fuck Brexit.

M: Nicht, dass ihr nicht zählt, aber ihr sterbt eh bald.

 

Charlie hat mal gesagt... Aber er ist ja gar nicht hier.

T: Moment, ich hol ihn.

 

Gesagt, getan. Thomas kommt mit Charlie im Schlepptau, der sich bis dahin unters Volk gemischt hatte, zurück zu unserer chillig auf der Wiese rumlungernden Runde. Nach höflicher Begrüßung kann ich endlich meine Frage an den Neuankömmling loswerden.

 

In einem Interview hast du über Punk gesagt...

Charlie: ... dass es eher eine Einstellung ist, als ein Look oder ein Sound. Genau.

 

Als ich zum ersten Mal eure Musik gehört habe, dachte ich: „Das ist ziemlich punkig.“ Wie würdest du denn Punk definieren?

C: Es ist eine Einstellung, die viel mit Rebellion und Protest zu tun hat. Neil Young ist für mich der Inbegriff des Punk. Er schreibt auch nach 50 Jahren noch Protestsongs.

 

Würdet ihr also sagen, dass ihr eine Punk-Einstellung habt?

T: Das wirkt ein bisschen nachteilig für uns, weil die Meisten Punk mit schnellen Riffs und unharmonischer Musik verbinden. Ich hoffe, dass wir genau das Gegenteil davon sind. Als Punk gelabelt zu werden, heißt oft, dass man faul und nicht richtig bei der Sache ist.

 

Weil viele Punkbands nicht wirklich ihre Instrumente beherrschen und einfach auf der Bühne stehen wollen.

M (lacht): Ja, genau. Aber wie gesagt, es geht ja eher um die Einstellung.

 

Warum liebt ihr Musik?

T: Weil sie es möglich macht, das Leben auf vollkommen andere Art wahrzunehmen. Neulich wollten wir uns eine Platte anhören und haben deswegen beim Fernseher den Ton ausgestellt.

M: Es lief „Van Helsing“. 

T: Das Album war „Revolver“ von den Beatles. Dadurch haben wir den Film komplett anders gesehen. Das kann man genauso aufs Leben übertragen. Musik inspiriert dich und erlaubt dir, das Leben in anderem Licht wahrzunehmen. Wenn’s dir nicht gut geht, leg geile Musik auf und du wirst jede Menge Spaß haben.

C: Für mich gibt es kein besseres Gefühl, als wenn man bei einem Konzert ist, das Licht ausgeht und die Band auf die Bühne kommt.

M: Ich bin erst 20, das ist noch nicht alt, aber ich hab mich nie besser gefühlt, als wenn ich ein tolles Album angehört oder eine Band live gesehen habe.

C: Wenn man neue Musik entdeckt und sich immer wieder in sie verliebt.

T: Hoffentlich tun wir das bis wir sterben.

 

So jung die drei auch sind, sie wirken doch sehr reflektiert und abgeklärt. Doch am Ende setzt sich noch mal die süße Jugend durch, als Thomas sagt: „We don’t do handshakes, we do cuddles.“ Ist ja auch viel schöner!

 

https://www.facebook.com/theblindersband/