Verfasst von Pati am 12/06/17
The Kooks, einige DER Indie-Helden der Nullerjahre, gehören mittlerweile zu den Veteranen des Genres. Mit Krachern wie „Ooh La“, „She Moves In Her Own Way“, „Naive“ und „Sofa Song“ zogen sie uns auf die Tanzflächen und rissen uns mit ihrer jugendlich-wilden, sehr natürlichen Art in ihren liebenswert-charmanten Bann. Wiedererkennungswert durch Luke Pritchards Stimme und unbändigen Wuschelkopf: extrem hoch.
13 Jahre sind seit ihrer Gründung fast wie im Flug an uns allen vorbeigezogen. An vielen nicht spurlos. Manche sind nun gesettelt, gefangen in einem immer gleichen Arbeitsalltag und/ oder haben eine Familie gegründet. Letzteres trifft mit Ausnahme von Sänger Luke auf die Jungs von The Kooks ebenfalls zu, doch scheinen sie das vergangene Jahrzehnt in einer Zeitkapsel verbracht zu haben, aus der sie immer mal wieder Alben auf den Markt und sich selbst auf die Bühnen der Welt befördert haben, nur um schnellstmöglich in sie zurückzukehren und in Dorian-Gray-Art ihr Leben in ewiger Jugend zu genießen.
Bereits das erste Bild von ihnen, dass sich uns bietet, gibt einen Hinweis darauf, dass sie noch genauso verspielt sind wie am Anfang ihrer Karriere: Mit Bierflaschen in den Händen und begleitet von ihrem Tour Manager Tony, einem sympathischen Bären, der wirkt wie ihr Papa und auch mir liebevoll-unterstützend auf den Rücken klopft, als sei ich sein braves Töchterchen, schlendern unsere Interviewpartner Luke Pritchard (Gesang) und Pete Denton (Bass) uns an diesem warmen Frühlingstag feixenderweise entgegen. Mit seiner Begrüßung zitiert sich der Songwriter der Band dann eben mal selbst: „Hey, wie geht’s? Wie war euer Tag?“ Bei so einem Wetter kann er ja nicht anders als gut gewesen sein, aber die Jungs haben der guten Laune noch ein bisschen nachgeholfen: „Wir hatten schon ein paar Bier“, schmunzelt Luke mich an und hebt demonstrativ sein aus Hopfen und Malz gebrautes Getränk.
Auf der Suche nach einem passenden Eckchen für unser Gespräch landen wir letzten Endes vor einem gemalten Alpenpanorama. Endlich mal was vom Land gesehen, in dem sie touren! Ganz ungestört ist es hier nicht, denn immer wieder kommen ein paar Fans vorbei, die sich trauen, nach Autogrammen und gemeinsamen Fotos zu fragen, die umgehend im weltweiten Netz geteilt werden. Niemals sind Luke und Pete genervt, jedem wird sein Wunsch erfüllt und noch ein lustiger Spruch mit auf den Weg gegeben. Keine Spur von einer entwickelten Hybris, die angesichts der Tatsache, dass sie mittlerweile auch schon mal vor einem 11.000 Mann starken Publikum spielen, kaum verwunderlich wenn auch nicht besonders sympathisch wäre.
Der Sänger beginnt unser Gespräch direkt mit einer bezeichnenden Aussage, die den oben beschriebenen ersten Eindruck unzweifelhaft bestätigt: „Wir sind richtige Peter Pans.“ In den nächsten 20 Minuten unterstreichen beide Bandmitglieder diese Selbsteinschätzung zuhauf: Scherze, scheinbar unmotivierte Heiterkeitsausbrüche, die sicherlich auf irgendwelche Insiderwitze zurückzuführen sind, die sich uns nicht erschließen, und gegenseitiges Aufziehen zeigen aber auch, wie eng die Beziehung der beiden ist. Nur wer sich sehr gut kennt und auf einer ungemein tiefen Ebene miteinander verbunden ist, kann so vertraut und selbstverständlich miteinander umgehen.
Auf meine Frage, wie sie sich denn nach so vielen Jahren im Musikbusiness fühlen, hat Luke seinem Vergleich mit der beliebten Kinderbuchfigur noch etwas in dieselbe Richtung hinzuzufügen: „Wir fühlen uns jünger. Das ist die beste Tour, die wir je hatten. Die 30er sind das beste Jahrzehnt, weil man sich auskennt und nicht mehr so aufgeregt und wild ist. Wir waren wie ein Haufen wild gewordener Affen.“ Den Grund für ihre konservierte Jugendlichkeit liefert er auch direkt mit. Eine sehr interessante These, wie ich finde, die es sicher Wert ist, einmal wissenschaftlich erforscht zu werden: „Mick Jagger ist nicht nur so fit, weil er mit jungen Mädchen schläft, sondern weil er Musik macht, denn Musik hält einen jung. Na ja, vielleicht ist es doch nur, weil er mit jungen Mädchen schläft...“ Nach allgemeinem Gelächter kehrt er aber zum ersten Teil seiner Theorie zurück: „Musik ist wie Medizin: Wenn man sie macht und liebt, dann bleibt man jung. Es ist ein hartes Leben, besonders, wenn man ununterbrochen auf Tour ist, aber auf der anderen Seite ist es ein Jungbrunnen.“ Also, spart euch die teuren Cremes und kosmetischen Behandlungen, hört oder besser gar: macht Musik! Dann kann die gesamte Schönheitsindustrie bald einpacken.
Was für einen Rat würden sie als ruhiger aber nicht älter gewordene Affen in diesem Zirkus jungen Bands wie den Blossoms, ihrem Support auf dieser Tour, geben, die gerade ihre ersten Gehversuche in diesem Hochseilakt unternehmen, in dem es in der Regel kein Sicherheitsnetzt gibt? „Die brauchen keinen Rat, sie haben den Kopf an der richtigen Stelle und arbeiten hart“, lobt Luke seine zehn Jahre jüngeren Kollegen (hier geht’s zum Interview mit den Jungs aus Stockport). Und anderen? „Bescheiden bleiben, auch wenn das Debütalbum eingeschlagen hat wie eine Bombe. Immer gerne Musik machen und sie nicht aus den Augen verlieren.“ Pete, dessen Redeanteil bisher nicht besonders hoch war, fügt hinzu: „Man muss hart arbeiten. Man kann schnell aus der Kurve fliegen und wenn das passiert, ist es schwer, wieder auf den richtigen Weg zu kommen.“ Und das Wichtigste, da sind sich beide einig: Spaß haben und sich innerhalb der Band super verstehen. Dann hat man eine Chance, diesen Rummel unbeschadet zu überstehen und wie The Kooks sagen zu können: „Wir haben den besten Job der Welt!“
Nach so vielen Jahren haben sich einige Erinnerungen angesammelt. Gute und weniger gute. Zu den guten zählt Luke auf jeden Fall das erste Mal, als sie einen ihrer Songs im Radio gehört haben. Es war „Eddies Gun“ und sie waren gerade im Sprinter auf einer Tour quer durch England unterwegs. Weitere Highlights waren ihr Auftritt auf dem Glastonbury direkt vor den Killers, eine Tour durch Südamerika inklusive einer Show im 8.000 Zuschauer fassenden Luna Park in Argentinien (Veranstaltungshalle in Buenos Aires, Anm. d. Red.) , wo sie eigentlich mit kleineren Clubs gerechnet hatten, die dann aber immer größer wurden. Wieder einmal kommt Pete gar nicht zu Wort. Aber es kann niemand behaupten, Luke sei nicht sensibel, denn er wendet sich an seinen Bandkollegen und fragt: „Willst du auch was sagen? Zum Beispiel: ‚Als ich mein erstes Kind bekommen habe.’?“ Ach was, so besonders kann das doch nicht gewesen sein... Es pflanzen sich doch ständig Leute fort. Doch bevor der mittlerweile zweifache Vater überhaupt antworten und meinem dreisten Herunterspielen widersprechen kann, fährt der Frontmann einfach selbst fort: „Das war echt was Besonderes, als Pete Dylan bekommen hat, weil er das erste Baby in der Band war.“ Offenbar war die Erwähnung seines Nachwuchses das Codewort, das Petes Sprachzentrum aktiviert hat, denn ab jetzt beteiligt auch er sich am Gespräch: „Das hat das Leben definitiv zum Besseren verändert. Musikalisch war sicherlich unser Auftritt im Ally Pally (Freizeitpark Alexandra Palace in London, Anm. d. Red.) vor Kurzem einer der besten Momente. Wir haben vor 11.000 Menschen gespielt. Aber die sind fett und sehen größer aus als sie sind.“ Offenbar geht bei den beiden Clowns nichts ohne einen Scherz.
Doch als sie über den schlimmsten Moment berichten, werden sie tatsächlich mal ernst – doch erst nachdem Pete, dessen Humor dem von Luke in nichts nachsteht, noch kurz auf der spaßigen Ebene bleibt: „Der Tag nach Ally Pally, weil wir so schlimm verkatert waren wir noch nie.“ Und jetzt klingt die Rückschau auf ihre Karriere endlich mal nach der Biografie einer Rock-Band. „Der schlimmste Moment“, erinnert sich Luke, „war, als Pete und ich total high auf Ambien (amerikanisches Schlafmittel, Anm. d. Red.) waren und fast gestorben sind.“ Als verantwortungsvoller Vater warnt Pete: „Das sollte keiner nachmachen!“ Und Luke fügt hinzu: „Nehmt kein Ambien, wenn ihr Alkohol getrunken habt.“ Noch ein guter Rat für junge Bands!
Als „Rockstars“ erlebt man doch bestimmt auch einige verrückte Sachen? Pete ist da wenig hilfreich: „Neulich ist mir da ’ne Menge eingefallen, aber jetzt erinnere ich mich nicht mehr. Wir haben schon alberne Sachen gemacht, aber nicht so was wie den Fernseher aus dem Fenster werfen oder so.“ Luke will jetzt offensichtlich wirklich mal rüberkommen, wie der skandalumwobene Frontmann, den man vor seinem romantisch verklärten inneren Auge sieht: „Ich hatte Backstage-Sex bei einem Festival, als Panic At The Disco gespielt haben. Hat Spaß gemacht, aber ist nicht wirklich verrückt, oder? Ich meine, ihr seid aus Deutschland, das macht ihr jeden Freitagabend.“ Als ich scherzhaft bestätige, dass ich so praktisch jeden Tag verbringe und sich das nicht nur auf den Freitagabend beschränkt, glauben wir das alle nicht so ganz. Ich weiß ja nicht, wo Mr. Pritchard diese Vorstellung von deutschen Gepflogenheiten aufgeschnappt hat, wo die Engländer unser Volk doch sonst nur als humorlose, Strandliegen kapernde Sauerkrautfanatiker sehen. Aber vielleicht liegt es an einem weiteren Vorurteil über die Deutschen, das in England weit verbreitet ist: Dass wir es lieben, überall nackt herumzulaufen, sei es am Strand oder in der Sauna.
Wie schön, wenn sich eine organische Brücke zum nächsten Thema wie von selbst schlägt: Von Nacktheit ist es nicht weit bis zur Fortpflanzung und diese haben drei der vier Bandmitglieder bereits erfolgreich betrieben, nur einer nicht. „Nein, ich habe keine Kinder, ich hab ihn mir abschneiden lassen“, behauptet Luke fast trotzig. Schnell schickt er nach: „Nur ein Scherz!“ Wirklich? Ich wär glatt drauf reingefallen... J Und jetzt packt endlich auch Pete die Zoten aus: „Nur die Hälfte, jetzt ist er nur noch 30 Zentimeter lang.“ Etwas vorpubertär, aber Peter Pan war ja auch erst um die 13, passt also. Über den Familien- und irgendwie auch Bandzuwachs und seinen Einfluss auf die Zusammenarbeit und alle anderen Bereiche weiß der Bassist Folgendes zu berichten: „Kinder verändern nichts so wirklich. Für den Partner ist es etwas schwieriger, wenn man auf Tour ist, aber sonst ändert sich nichts. Jetzt touren wir auch nicht mehr zwei Monate am Stück, was sowieso total irre ist.“
Nach dieser ausführlichen Retrospektive interessiert mich aber doch noch einiges Inhaltliches. Ich beziehe mich auf ein Zitat von Luke, in dem er meinte, dass Songwriting, das zum Job geworden ist, die Musik zerstören kann. Wie wird es für ihn nicht zu einem Job? „Man muss einfallsreich sein und die Art, wie man schreibt, oder die Akkorde, die man verwendet, verändern. Der Job ist das Touren, da muss man eine Routine entwickeln. Ich persönlich habe bei einem von fünf Konzerten das Gefühl, dass es alle anderen übertrifft. Dass ich absolut präsent bin und es mich umhaut. Aber bei den meisten denkt man dran, dass man ja noch waschen muss und nicht daran, was man gerade spielt. Wenn man schreibt, muss man sich immer wieder neu inspirieren lassen. Man muss sich seine Peter-Pan-Art bewahren, die Komfortzone verlassen, Neues ausprobieren.“ Eine Inspirationsquelle ist für den Songwriter zum Beispiel die Literatur, besonders Science Fiction, wie Romane von Kurt Vonnegut, weil der Eskapismusfaktor bei ihnen noch höher ist als bei realistischen Werken. Wie genau hilft ihm die Literatur beim Songwriting? „Sie hilft einem, Wörter richtig zu kombinieren. Zwar ist Musik schreiben anders als Prosa zu schreiben. Aber als Songwriter sollte man viel lesen, weil es einem hilft, in der 'Zone zu bleiben'. Man übernimmt vielleicht den Rhythmus von dem Autor, den man gerade liest.“
Fleißig geschrieben hat Luke auch schon wieder. Nach ihrem letzten regulären Studioalbum „Listen“, das 2014 veröffentlicht wurde, und ihrem ersten Best-Of-Album, das erst vor Kurzem erschienen ist und bereits zwei neue Tracks beinhaltet, können wir uns im nächsten Jahr auf ein neues Werk von The Kooks freuen. Das soll nach Ausflügen in die funkige und soulige Ecke wieder zurück zu den Wurzeln führen, zurück zum Britpop, und an den Stil von The Kinks erinnern. Wie passend, wo beide Bandnamen im Grunde das Gleiche bedeuten: die Verrückten.
Und weil The Kooks ihren Bandnamen vom gleichnamigen David-Bowie-Song auf seinem Album „Hunky Dory“ inspiriert ist, will ich zum Schluss noch wissen, wo sie waren, als sie vom Tod des Ausnahmekünstlers erfahren haben.
Luke: Ich war in London. Ich lebe neben einem Pub mit dem Namen The Cow. Da hab ich bis vier Uhr morgens Rum getrunken und wir haben geweint und gesungen. Am nächsten Tag war ich total heiser.
Pete: Ich war auch in London. Ich bin mit seiner Musik aufgewachsen. Ich hab mit meinen alten Kumpels Erinnerungen über Textnachrichten ausgetauscht. Schon krass, wie viele Menschen sein Tod berührt hat. Er war einer der Hauptgründe, warum ich angefangen habe, Musik zu machen. Er ist tot, aber seine Musik wird immer bleiben. Wir sind mal mit Arcade Fire getourt, die wiederum mal mit ihm unterwegs waren. Und ich wollte sie nur fragen: Wie hat er gerochen?
Luke: Er war auch ein toller Vater. Ich habe Posts von seinem Sohn gesehen. Er hat es irgendwie geschafft, seine Privatsphäre zu bewahren. Die Kardashians könnten viel von ihm lernen.
Nicht nur die! Aber die Mitglieder von The Kooks haben es auch ganz gut raus, im Netz nicht allzu viel über sich zu verbreiten. Nur im Interview waren sie teilweise recht intim, aber diese Nahbarkeit macht sie ja gerade so sympathisch. Auch auf ihrem Konzert gaben sie sich sehr publikumsnah und mir kam es so vor, als sei es mal wieder eine dieser fünften Shows gewesen, bei denen der Sänger nicht an seine Wäsche denkt, sondern im Hier und Jetzt und vollkommen präsent ist. Denn so ein Enthusiasmus kann nicht durch Routine entstehen. Nach einem ungewöhnlichen Intro, New Orders „Blue Monday“, das in voller, geradezu epischer Länge gespielt wurde, erlebte das Münchner Publikum eine extrem spielfreudige Band und einen Frontmann, der dem von ihm am Anfang des Interviews angesprochenen Mick Jagger in Gestik und Verhalten nicht gerade unähnlich war – abgesehen vom Alter natürlich. In zwei Stunden schaukelten sich Fans und Band gegenseitig in geradezu orgiastische Höhen bis die Tonhalle sich anfühlte wie ein defekter Dampfkochtopf, der kurz vor der Explosion steht. Mal schauen, ob die „Verrückten“ in 42 Jahren auch noch auf der Bühne stehen.