Verfasst von Pati am 07/03/17
„They Put A Body In The Bayou“. Ein absolut eingängiger Ohrwurm gut gewürzt mit rotziger Rockattitüde, der sofort meine Aufmerksamkeit erregt. So komme ich das erste Mal mit The Orwells in Berührung, einer amerikanischen Band, die sich schon seit Highschool-Tagen kennt und mittlerweile auf eine drei Alben umfassende Discographie zurückschauen kann. Und was entdecke ich kurz darauf erfreut: Sie sind auf Tour in Deutschland! Die perfekte Gelegenheit, meine Neuentdeckung sofort noch etwas besser kennenzulernen.
Doch so einfach gestaltet sich die Sache dann nicht unbedingt... Entweder bin ich zu blöd oder weder Label noch Management der fünf Twenty Somethings aus einem Vorort Chicagos halten viel davon, dass man mit ihnen Kontakt aufnimmt. Keine E-Mail-Adresse, keine Telefonnummer. Tja, dann wird’s eben nur ein Konzertbesuch. Aber der lohnt sich allemal! Das Münchner Strom brennt, sowohl Band als auch Publikum sind außer Rand und Band und auch ich kann nicht einfach cool in der Ecke stehen und durch dezentes Fußwippen meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekunden, sondern werde zu ganzem Körpereinsatz gezwungen.
Energetisch aufgeladen schnappe ich mir nach der Show einen Kerl, der aussieht, als gehöre er zur Band, und erwische damit doch glatt ihren Tourmanager. Vorher hatte ich nämlich rausgefunden, dass eine Station ihrer Europareise Manchester sein würde, wo ich mich just zur selben Zeit aufhalten sollte. Man sieht sich immer zweimal im Leben. Jetzt war ein Interview gemachte Sache.
Zwei Wochen später kämpfe ich mich eine extrem steile Treppe im Backstage-Bereich des Gorilla hinauf und denke, dass man als Band bei einem Auftritt in diesem Venue mal lieber nicht so viel Alkohol trinken sollte, will man es noch lebend oder zumindest unverletzt verlassen. In dem kleinen Raum im Obergeschoss, der ungefähr die Abmessungen des Einbauschranks in meinem heimischen Flur hat, finde ich drei der fünf Bandmitglieder, alle ganz wichtig am Handy. Doch der „Wichtigste“, Frontmann und hauptverantwortlicher Songwriter Mario Cuomo, fehlt. Deswegen muss ich doch noch mal die Todesfalle runter und in den Tourbus, wo ich ein knackiges Acht-Minuten-Gespräch mit dem irgendwie gelangweilt wirkenden Mario und dem auch nicht viel enthusiastischeren Matt O’Keefe (Gitarre) führe.
Ein bekanntes Zitat von George Orwell ist: „Manche sind gleicher als andere“. Was macht euch gleicher?
Mario: Dass wir aus den USA sind. Nee, Quatsch. Wir wissen eigentlich gar nichts über den Typen.
Und warum habt ihr euch dann nach ihm benannt?
Mario: Es klang halt gut.
Aber irgendwas macht euch doch besonders...
Mario: Nicht wirklich.
Matt: Ich weiß nicht, ob wir was Besonderes sind. (alle lachen)
(zu Mario) Vielleicht macht dich dein Haar besonders. Es ist so Grunge-Frontmann aus den 90ern. Irgendwie anachronistisch.
Mario: Ich will’s abrasieren. Weil’s mir langsam auf die Nerven geht. Es ist Zeit, was zu ändern.
Veränderung hat ja oft was Gutes. Ihr habt euch zum Beispiel als Band sehr verändert. Eure Alben unterscheiden sich alle voneinander.
Matt: Ja, kann sein.
Mario: Hoffentlich sind wir gewachsen.
Denk ich schon. Das neueste klingt auf jeden Fall erwachsener. Das erste hatte was von rotzigem Teenager, das zweite war eher eine Coming-of-Age-Geschichte und das letzte ist das erwachsenste.
Matt: Eine Trilogie.
Was denkt ihr, wird das nächste sein?
Mario: Ein Prequel. Die Kindheit. Nee, weiß nicht... Es ist noch zu früh, sich darüber Gedanken zu machen.
Matt: Erst mal müssen wir jetzt die Tour hinter uns bringen und die neuen Songs präsentieren, bevor wir ernsthaft darüber nachdenken, wohin es mit dem nächsten Album gehen soll.
Das neue Album ist ziemlich sozialkritisch. Wie kam es dazu?
Matt: Das sagen viele, aber es war keine bewusste Entscheidung, über all das zu schreiben, was gerade passiert. Es war einfach unausweichlich, besonders im letzten Jahr oder die Jahre bevor wir das Album geschrieben haben. Manchmal wurden wir vielleicht von verrückten Zeitungsartikeln inspiriert, aber wir haben uns nie hingesetzt und gesagt: „Was gerade so abgeht, gefällt uns gar nicht, wir müssen einen Song darüber schreiben“.
Mario: Wir wollten kein Statement zu irgendwas abgeben.
Die Sache mit Trump...
Matt: Wir haben das Album aufgenommen, bevor er überhaupt nominiert war. Wir waren im Februar im Studio und er wurde erst im März nominiert. Wir wussten noch gar nicht, dass das passieren würde. Viele Leute sprechen uns darauf an und wollen diese Parallele ziehen, aber die gibt es nicht.
Aber was ist eure Haltung zu Trump? Beunruhigt es euch?
Matt: Ich mag ihn auf jeden Fall nicht. Aber ich werde deswegen keine Songs über ihn schreiben.
Um noch mal auf George Orwell zurückzukommen, auch wenn ihr euren Namen eher willkürlich ausgesucht habt: Er war ein großer Dystopist. Das sehe ich auch in euren Liedern. Es geht nicht um ein glückliches Leben, sondern um Leute, die Dinge tun, einfach um beschäftigt zu sein, wie Sex haben oder Drogen nehmen. Besonders auf den ersten beiden Alben. War das euer Leben?
Mario: Ich wollte nie Chaos verbreiten. Ich hab zwar schon sehr viel Mist gebaut, aber es war nie meine Mission, nicht produktiv oder das Gegenteil von utopistisch zu sein. Ich denke, ich bin etwas erwachsener geworden und sehe jetzt, dass manche Dinge wichtiger sind als andere.
Wahrscheinlich klingt deswegen euer letztes Album anders.
Mario: Uns sind andere Sachen wichtiger geworden.
Mir ist aufgefallen, dass ihr darauf sehr nach Nirvana klingt und dein Gesang erinnert mich ab und zu auch an Kurt Cobain. Waren sie ein großer Einfluss?
Mario: Oh ja, wir haben immer zu ihnen aufgeschaut und sie gehört, als wir jünger waren. Sie waren die beste Band der Welt.
Live konntet ihr sie ja nicht sehen.
Mario: Nein, ich war vielleicht ein Jahr alt, als Kurt Cobain gestorben ist. Ich hab mir immer gewünscht, dass ich später geboren worden wäre, dann hätte ich seine Reinkarnation sein können.
Weil er dein Idol ist, lebt er ja quasi doch irgendwie durch dich.
Mario: Ja, er lebt in Millionen Menschen. Das ist das Tolle an Musik.
Ihr bekommt sicher oft ziemlich blöde Fragen zu hören. Vielleicht habe ich heute auch dazu beigetragen. Welche Frage würdet ihr denn gerne mal gestellt bekommen?
Matt: Keine Ahnung. Da ist nicht wirklich was, das ich unbedingt loswerden muss. Aber deine Fragen waren gar nicht mal so schlecht, sehr erfrischend. So was werden wir nicht oft gefragt.
Höflich waren sie dann ja doch eigentlich, auch wenn sie wenig zum eigenen Selbstverständnis und ihrer Motivation sagen konnten. Aber das ist ja auch eigentlich egal, wenn trotzdem Musik rauskommt, die vielleicht nicht sonderlich tiefgängig ist (zumindest nicht auf den ersten beiden Alben), aber dafür ordentlich Spaß macht. Und die ihnen eine treue Fangemeinde beschert, wie die beiden Mädels aus Frankreich und Belgien, die ihnen auf der Europa-Tour fast überall hin gefolgt sind. Die versprechen mir dann auch, als menschliches Bollwerk zu agieren, während ich in der ersten Reihe ohne schützende Absperrung Fotos während des Konzerts mache. Trotzdem habe ich ziemliches Muffensausen, denn ich kenne das englische Publikum, und kann mir nicht vorstellen, dass zwei Frauen eine wild gewordene, vor Testosteron triefende, männliche Horde Wildgewordener von mir fernhalten kann. Aber alles kommt dann wieder nicht so schlimm wie gedacht (ein Hoch auf den Zweckpessimismus!) und außer ein wenig Gequetsche, habe ich körperlich nichts zu erleiden. Auch die berüchtigte britische Golden Shower, eine Dusche aus geworfenen Bierbechern, bleibt komplett aus.
Und so ziehe ich mich nach den ersten drei Liedern körperlich und seelisch unbeschadet auf die Empore zurück, wo ich mir belustigt das bunte Treiben (einschließlich jugendlicher Moshpit) im Zuschauerraum anschauen kann und mein Bild englischer Konzertbesucher positiv relativiere.