Verfasst von Pati am 27/03/17
Irland ist nicht unbedingt als die weltgrößte Musiknation bekannt. Außer U2, die mittlerweile auch schon ihren Zenit überschritten haben, gibt es nur wenige Bands aus diesem Land, denen es gelingt, bei uns oder anderswo in die Charts zu kommen. Allein deswegen sind Walking On Cars also ein außergewöhnliches Phänomen. Sie erinnern an Alternative-Formationen wie Imagine Dragons und legen im Moment genau wie diese vor ein paar Jahren ebenfalls einen raketenhaften Aufstieg hin. Cause We Love Music hatte die Gelegenheit, sich vor ihrem Konzert in München mit ihnen über Schauerromantik, Zeitkapseln und Grasregen zu unterhalten.
Die erste Frage geht an dich, Patrick: Nächste Woche ist St. Patrick’s Day. Das ist dein Namenspatron und du bist Ire. Ist das also ein doppelt besonderer Tag für dich?
Paul: Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.
Patrick: Mir auch nicht. Ich werde auf jeden Fall deswegen nicht anders behandelt.
Ernsthaft? Malen sie dich nicht grün an?
Patrick: (lacht) Zum Glück nicht. Wir sind an St. Patrick’s Day in Dubai, weil dort ein großes Irisches Festival stattfindet. Ich bin nur ein ganz normaler Typ, der Patrick heißt.
Du trägst also keine Krone an dem Tag?
Patrick: Nein.
Aber jetzt mal zu eurer Musik. Euer Debütalbum ist erst letztes Jahr erschienen, aber ihr seid schon richtig groß.
Patrick: Sind wir das?
Definitiv! Die meisten Bands, die gerade erst anfangen, spielen in kleinen Clubs, wie dem Strøm hier in München.
Paul: Da waren wir letztes Jahr im Oktober oder November.
Ja, aber manche Bands bleiben da, auch wenn sie schon mehrere Alben rausgebracht haben und schaffen es gar nicht in größere Hallen. Wie fühlt sich das an und was macht das mit euch?
Patrick: Das fühlt sich ziemlich gut an. Wir haben ja echt ganz unten angefangen, mit ganz kleinen Shows und die wurden dann langsam immer größer. In Deutschland haben wir diesen Sprung sehr schnell geschafft, weil „Speeding Cars“ hier oft im Radio gespielt wird und es so scheint, als würde es den Leuten gefallen. Wir sind auch wahnsinnig gerne hier.
Wie ist das in anderen Ländern so?
Patrick: Nicht so wir hier. In Irland läuft es sehr gut und auch in der Schweiz und Holland haben wir schon große Shows gespielt. Aber Deutschland ist wirklich was ganz anderes.
Paul: Auf dieser Tour haben wir sechs Konzerte und die Locations sind alle ungefähr so groß wie das hier. Es ist wirklich außergewöhnlich.
Ihr seid ja alle schon recht lange befreundet. Wie wichtig ist das, wenn man als Band Erfolg haben möchte?
Patrick: Sehr wichtig.
Paul: Auf jeden Fall! Wenn man so lange mit jemandem auf Tour ist, mit dem man aber nicht befreundet ist, wäre das fürchterlich.
Wie die Gallaghers. Die sind zwar Brüder, aber können sich nicht ausstehen.
Paul: Ja.
Patrick: Stell dir mal vor: ich, Tony und William. Wir würden uns gegenseitig umbringen.
Paul: (lacht) Oh ja!
Sind das deine Brüder?
Patrick: (lacht) Ja.
Dann ist es wahrscheinlich besser, dass ihr nur Freunde seid und nicht Familie.
Paul: Bestimmt. Wie machen die Corrs das nur? (alle lachen)
Trotzdem war es sicher nicht einfach, sechs Monate zusammen in dem kleinen Haus an der Küste an dem Album zu arbeiten, worüber man so viel lesen kann. Aber ich will gar nicht auf das Thema Hüttenkoller hinaus. Ihr habt gesagt, dass ihr quasi von der Außenwelt abgeschnitten wart: keine Handys, kein Internet etc. Das muss gewesen sein wie in einer Zeitkapsel. Wie war es, danach wieder in die Zivilisation zurückzukommen?
Paul: Es war wirklich wie eine Zeitkapsel, denn das Haus war so ein ganz altes, typisch irisches Bauernhaus.
Patrick: Es war so ruhig. Ich weiß gar nicht, ob ich jemals vorher so eine Ruhe erlebt habe.
Ihr wolltet also gar nicht mehr zurückkommen?
Patrick: Wir sind nur zurück, weil wir das Album rausbringen mussten. (lacht) Aber es war toll, mal Abstand zur Welt zu bekommen und zu Social Media. Ein einfaches, entspanntes Leben. Mein Plan für den Ruhestand ist, in das Haus zurückzukehren. (alle lachen)
Du hast jetzt schon Pläne für die Rente? Ganz schön ambitioniert! Ihr hattet nach eigener Aussage viele Bücher dabei. Was waren das für welche?
Paul: Ein Buch, das alle von uns gelesen haben, war Bram Stokers „Dracula“. Es ist sehr interessant, weil er Ire war und es davor noch gar keine Vampirgeschichten in dieser Form gegeben hatte. Wirklich verrückt. Jeder kennt diese Geschichte. Und sie ist echt gut.
Die Atmosphäre war sicher auch großartig für so ein Buch.
Paul: Ja, wir hatten ja auch nichts anderes zu tun. Musik an, Feuer machen. Das war echt toll.
Beeinflusst Literatur auch eure Musik auf irgendeine Art?
Paul: Ich glaube uns beeinflusst so ziemlich alles.
Patrick: Literatur tut es wohl nicht bewusst.
Dan: Viele irische Dichter sind sehr lyrisch und wir haben das alles in der Schule gelesen. Also lässt sich das wohl kaum vermeiden.
Eure Videos sind alle abgeschlossene Kurzgeschichten. Besonders das zu „Speeding Cars“ erinnert mich an den irischen Schriftsteller Yeats.
Patrick: Echt?
Ja, es hat den Look der Schauerromantik. Es ist sehr dunkel und sphärisch. Aber er war kein bewusster Einfluss?
Patrick: Nein, du bist die Erste, die das sagt. Aber das ist echt cool!
Patrick, du hast gesagt, der Text zu „Speeding Cars“ sei einfach so aus dir rausgeflossen, es war also kein bewusster Prozess. Das erinnert mich an einen anderen, sehr bekannten irischen Schriftsteller, nämlich James Joyce. Er hat mit dem Bewusstseinsstrom gearbeitet, bei dem auch die Gedanken einfach frei fließen. War das nur bei dem einen Lied so oder auch bei anderen?
Patrick: Ich hab einen Film oder irgendeine Serienepisode angesehen.
Paul: Oder eine romantische Komödie. (lacht)
Patrick: (lacht auch) Wahrscheinlich das.
Paul: Mit Jennifer Aniston und Adam Sandler.
Patrick: Sie streiten, er verliert sein Selbstbewusstsein, sie kommen wieder zusammen, er gewinnt sein Selbstbewusstsein zurück. (alle lachen) Das war echt eigenartig mit dem Song. Ich erinnere mich noch, dass wir im Haus waren und Sorcha diese Tonfolge spielte... Und in dem Moment wusste ich, wie das Lied klingen würde. Ich hatte diesen Film im Kopf und die Wörter kamen einfach raus. Ich wollte, dass es um eine geheime Affäre zwischen zwei Menschen geht, die beide eigentlich schon vergeben sind. Irgendwann hatte ich die Verse, aber noch keinen Chorus. Ich war im Aufnahmeraum im Haus und hörte es im Loop. Ich hätte es fast gelöscht, aber dann hab ich’s den anderen vorgespielt und gefragt: „Was meint ihr?“ Und dann haben wir es behalten. Es wäre fast nicht erschienen.
Gut, dass ihr es behalten habt! Kann es sein, dass euch auch die Landschaft beeinflusst hat? Ich stelle mir sie sehr episch vor, im Grunde so wie eure Musik klingt, episch und fast hymnisch.
Paul: Auf jeden Fall! Das Haus, in dem wir das Album geschrieben haben, liegt auf einer Klippe über einem Strand mit vorgelagerten Inseln. Es sieht wirklich irre aus. Das muss einen einfach beeinflussen. Du stehst am Morgen auf, putzt dir die Zähne, schaust raus und da wütet gerade ein Sturm und riesige Welle kommen auf dich zu und brechen sich an der Klippe.
Evan: Und am nächsten Tag wacht man auf und der Himmel ist blau und wolkenlos. Da ist kein Tag wie der andere.
Paul: Das war das Beste an dem Haus, dieses eine Fenster.
Das Wasser hat ja auch was ganz Besonderes. Ich hab vor ein paar Tagen erst mit einer britischen Band gesprochen, Tall Ships, die auch an der Küste lebt. Und wir haben darüber nachgedacht, ob die Tatsache, dass man einen Horizont hat, einem erlaubt viel freier zu denken. In der Stadt sind ja überall Wolkenkratzer oder andere hohe Gebäude und das schränkt das Denken vielleicht ein.
Dan: Das ist ein interessanter Gedanke! Denn Dingle, der Ort, aus dem wir stammen, ist bekannt dafür, dass viele Künstler aus der Stadt dort hinziehen, wie Schauspieler, Musiker oder Schriftsteller. Vielleicht weil man dort dieses Gefühl von Offenheit und Freiheit viel mehr hat als in einem urbanen Umfeld.
Eure Lieder sind ja wie erwähnt sehr episch, aber die Texte sind nicht besonders fröhlich oder positiv. (alle lachen) Es geht um Themen wie Nähe/Distanz, kaputte Beziehungen, kurze zwischenmenschliche Verbindungen, aber nichts, was Bestand hat. Für mich ist das wie ein Psychogramm der modernen Liebe. Gibt es keine Chance auf ein Happy Ending? Zumindest gibt’s das in keinem eurer Lieder...
Paul: Es gibt immer eine Chance für ein Happy Ending.
Evan: „Tick Tock“ ist hoffnungsvoll.
Patrick: „Tick Tock“? Es lässt vielleicht eine Hoffnung erahnen, ist aber wahrscheinlich eins der hoffnungslosesten Lieder von allen. Als wir das Album geschrieben haben, so vor vier bis fünf Jahren, waren wir Mitte zwanzig. In dem Alter läuft man Gefahr, sich zu verlieren. Wir waren auf dem College und sind total durchgedreht. Dann haben wir damit aufgehört und mussten die Welt für uns neu definieren und herausfinden, wer wir wirklich sind. Jeder für sich. Wollten wir in einer Band sein oder lieber in einer Bar oder einem Restaurant arbeiten? Bezüglich Beziehungen: Wollten wir uns mit 25 schon auf eine Person festlegen? Das ist ja ein riesiger Schritt. Das war alles irgendwie ein Mindfuck. (alle lachen) Deswegen drücken all die Lieder eine...
Paul: ...Panik aus.
Patrick: Ja, das ist es wohl.
Dan: In jedem Song wird eine Frage gestellt.
Patrick: Da steckt auch eine Menge Angst drin. Mit 25 ist man ziemlich verunsichert. Da hilft ein Drink schon ganz gut weiter. (alle lachen) Es war wie eine Flucht davor, auf der Straße den Leuten aus dem Weg zu gehen. Ich hab manchmal die Straßenseite gewechselt, nur um nicht mit jemandem reden zu müssen. So war das damals.
Du hast vorhin gesagt, ihr seid „total durchgedreht“. Kannst du das definieren?
Patrick: Wir waren die ganze Zeit betrunken.
Aber das ist doch zutiefst irisch, oder?
Paul: Bis zu einem gewissen Grad ja.
Patrick: Ein Grund, warum wir trinken, ist diese Angst, diese Unsicherheit, über die wir nicht sprechen, weil wir Iren sind und die reden eben nicht über so was. Es ist einfacher drüber zu lachen. Aber tief im Inneren sind wir total am Arsch. (alle lachen)
Aber das ist dann ein guter Katalysator, um Musik zu schreiben.
Patrick: Deswegen sind wir psychisch noch halbwegs gesund, weil wir mit der Musik ein Ventil gefunden haben. Wahrscheinlich können sich die Leute deswegen auch so gut mit unseren Liedern identifizieren oder finden etwas von sich selbst in ihnen, die Unsicherheit, Angst und Panik.
Andere Songwriter haben mir erzählt, dass es einfacher ist, ihre Gefühle vor hundert Leuten zu singen als sie einer Person zu sagen.
Patrick: Wenn man vor einer großen Gruppe Menschen spielt, dann ist das ein großes Nichts. Wenn da nur fünf Leute stehen, kann man sie alle sehen und es ist viel intimer. Und diese Intimität macht es einem dann schwer.
Aber man gibt all diesen Menschen gegenüber seine Gefühle preis. Ich hätte davor viel mehr Angst.
Patrick: Aber da ist eben nicht diese Nähe.
Paul: Und man muss keine Fragen beantworten.
Patrick: Man schaut nur an die hintere Wand. Und da ist nichts.
Paul: Oder da steht jemand, der Spaß hat und das freut uns dann. (alle lachen)
Irland ist ja noch ein sehr religiöses Land. In „Two Stones“ singt ihr Halleluja. Würdet ihr euch als religiös bezeichnen?
Paul: Nicht wirklich. Ich glaube, es ist nur ein Ausdruck. Es hat nichts Religiöses, so wie wir es singen. Es ist eher ein Ausdruck von Erleichterung.
Patrick: Es ist eins dieser Wörter, bei denen man nicht unbedingt religiös sein muss, um etwas damit zu verbinden.
Dan: Es stammt ja auch aus Liedern bzw. wird in vielen Liedern verwendet, die nicht unbedingt religiöser Art sind. Und es hat diese besondere Kraft.
Letzte Frage: Ihr habt diese schönen, bunten Ballons auf dem Cover eures Albums. Wenn ihr eine Nachricht oder einen Wunsch an einen Ballon hängen und ihn fliegen lassen könntet, was wäre das?
Paul: Ich würde schrieben: „Bitte schick Gras!“ (alle lachen)
Herr, lass Gras vom Himmel fallen und du würdest mit einem Eimer dastehen.
Paul: (lacht) Ja, so ungefähr.
Ganz schön tiefsinnig. Schöne letzte Worte! Vielen Dank!