Courtney Barnett am 01/11/18 im Huxley's Neue Welt, Berlin
Verfasst von Tobi
Vorfreude! Denn ich hab Courtney Barnett noch nie live gesehen. Aber auch Fragen: Wenn Musik so cool, so lässig rockig auf Platte vor sich hin groovt: Klingt das live dann vielleicht langweilig?
Bevor sich das klären lässt, bleibt zunächst die Vorfreude, während ich als Opening Act Laura Jean kennenlerne. Nie gehört, wohl aber eine Teenager-Freundin von Courtney und wie ich später herausfinde ein durchaus bekannter Name in Australien. Musikalische Bildungslücke. Laura spielt Keyboard, holt dann aber schon im ersten Song ganz frech ein Saxophon raus und erweitert damit ihr Klangspektrum enorm. Sofort fällt mir auf: Die Musik ist zwar ruhig und obwohl die bereits Anwesenden drei-, vierhundert Leute nicht wegen Laura Jean da sind, füllen auch sie den alten Theatersaal mit einer angenehmen Ruhe. Was ist da los im Huxley’s? Donnerstagabend-Blues? Woche fast geschafft, aber eben auch nur fast und damit noch ein wenig von der Wochenend-Euphorie entfernt?
Auf der Bühne werden einfangende Klänge erzeugt, sphärisch paaren sich die Keyboardschleifen, wobei Laura zu keinem Zeitpunkt ihre Songs überlädt. Ich denke an die „After the Disco“-Scheibe von Broken Bells (Albumtipp!). Laura Jean agiert auf der Bühne so bedächtig und unaufgeregt – das würde ich vor so vielen Menschen auch gerne können. Relativ früh teilt sie mit dem Publikum: „Das Keyboard macht komische Geräusche. Ich hab das Ding noch schnell für 50 Dollar gekauft.“ Toller Spirit. Dann am Ende des Sets sei es ihr Bauch, der ihr sage, sie solle mal lieber auf die Instrumentierung ganz verzichten und den letzten Song a capella singen. Beeindruckend, wie natürlich Laura Jean wirkt – oder treffender: wie natürlich sie ist.
Dann endlich meine Konzert-Entjungferung von Courtney Barnett. Los geht’s mit „Hopefulessness” und „City Looks Pretty“ vom neuen Album „Tell Me How You Really Feel“. Das klingt noch ein bisschen nach Handbremse, aber dennoch schon vielversprechend. Der Sound ist nämlich super. Die Bass Drum klingt drängend, Courtneys Gitarre hebt sich aber dennoch zu jedem Zeitpunkt ab, wodurch die mitunter nuancierten Melodien nicht im Bass-Matsch versickern, wie es anderen Bands oft (auch im Huxley’s) ergeht. Mit „Avant Gardener“ gibt’s danach nur eine kurze Zeitreise ins Jahr 2013, danach gleich wieder zurück in die Gegenwart. Für eine Frau, die mindestens im Herzen Punk ist, hält sich Courtney dann auffällig brav an die Reihenfolge der Songs auf ihrem aktuellen Album.
Einschneidend ist für mich aber der Song „I’m not your Mother, I’m not your Bitch“. Wie auf dem Albumcover erstrahlt Courtney in höllisch rotem Licht. Dazu gibt’s eine deftige Portion Rock auf die Ohren und mir wird klar: Diese Frau ist der Teufel selbst. Ein australischer Rock-Teufel. Bedeutend rockiger im Übrigen als ich sie erwartet hab. Nicht selten baumelt ihre Fender bei den Interludes und Instrumental-Passagen in der Kniekehle. Dazwischen immer wieder diese Lässigkeit in der Ausstrahlung und die kokette Dreistigkeit ihrer Texte („Give me all your money, and I'll make some origami, honey/I think you're a joke, but I don't find you very funny“). „Depreston“ ist das ruhige Highlight des Abends und mit „Pedestrian at Best“ knallt’s am Ende noch mal richtig. Da geraten einige Frisuren im Publikum durcheinander, die nicht mit Headbanging gerechnet hätten.
Man könnte während der anderthalb Stunden den Fehler machen zu denken, die Show plätschere manchmal nur so vor sich hin. Dabei versteckt sich hinter diesem schleichenden Gefühl die ganze Lässigkeit der Lady aus Melbourne, die nichts auf die Bühne zaubern will, was sie nicht kann. Muss sie auch nicht, denn sie erzeugt ganz selbstverständlich eine atmosphärische Dichte, einen Vibe der Coolness, den alle Zuschauer noch am nächsten Morgen als abgeklärtes Grinsen mit in den Alltag tragen.
Cosmo Sheldrake am 26/10/18 im Gretchen, Berlin
Verfasst von Tobi
Am Ende des Konzertabends war der Club Gretchen in Berlin eine Happy Station. In deren Zentrum kreiste eine Sonne, die Cosmo Sheldrake hieß, ringsherum Hunderte von Sonnenanbetern und drei lebendige Sonnenblumen. Wie bitte? Dazu später mehr.
Das Gretchen ist eine ehemalige Militärstallung unter Gewölbedecke und Säulen mit schickem Geschnörkel: Passt gut. Passt gut, weil es ein prima Kontrast zur sympathischen Kreuzberger Ranzigkeit und der ebenso lockeren Atmosphäre im Club darstellt.
Zum Einheizen gab es ein komplett (!) improvisiertes Loop-und-Vocal-Set von Bunty aus Brighton. Mit ihr will Cosmo Sheldrake demnächst noch mehr zusammenarbeiten, verriet er mir vorher im Interview. Zu hören ist die toughe Lady aber auch schon auf Cosmos 2018er Album im Song "Mind of Rocks".
Zugegeben wirkte Bunty die ersten zehn Minuten ziemlich verloren auf der Bühne. Die wummernde Basswand vibrierte allen noch im Körper, als sie nicht so recht in die Gänge kam. Es wirkte wie ein besserer Open-Stage-Auftritt, ausstaffiert durch extravagante Neon-Kleidung und Gardinen-Kordel-Ohrringe. Als ich sie zwei Stunden vorher beim Soundcheck gesehen hatte, in Straßenklamotte und weniger Blingbling, wirkte das natürlicher, zugänglicher. Doch dann ging’s los. Bunty bekam die Kurve: mit erfundenen Sprachen, Lippenakrobatik und dementsprechend organischen Beats. Wandelbar, bunt, so wie ihre Bühnengestalt. Sympathisch herzlich bei den Ansagen zwischen ihren Songs und dann mal wie eine indische Dame auf einem Marktplatz mit Geräuschgewirr und Soundschnipseln im Hintergrund, die mich an Massive Attack erinnerten. Am Ende dann auch noch ein optisches Spektakel: Bunty wirft Brillen ins Publikum, die die Lichtquellen – z.B. Handybildschirme – wunderschön brechen. Bunty hat ihre Aufgabe als Opener erfüllt. Die Leute hatten jetzt noch mehr Lust auf Cosmo Sheldrake.
Die Loop war ja nun schon warm gelaufen und dann kam der hellste Stern des Abends. Gleich nach Beginn spielte Cosmo „The Fly“, den Song, mit dem ich vor vier Jahren auf ihn aufmerksam wurde. Bei vielen Songs erklärt der Künstler, welche Geräusche er für den jeweiligen Track verwendet hat, wo er sie gefunden und wie er sie aufgenommen hat. Die Beats in „The Fly“ beispielsweise seien berstende Schiefersteine. Diese habe er in Nord-Wales gefunden und das Geräusch beim Aufprall und Zerbrechen der Steinplatten auf dem Boden einfach mitgeschnitten. Die Melodie sei wiederum der natürliche Ruf eines Vogels aus Zentralkamerun. Irre. Drei Minuten später: Der Song klingt aus. Ich bin glücklich (nicht zum letzten Mal an diesem Abend). Viele andere sind es auch und Cosmo hat ein verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht, das er den ganzen Abend nicht mehr verlieren wird. Er ist herzlich, dankbar. Nahbar. Auf seinem Laptop, von dem aus er Samples einspielt, prangt ein Aufkleber: „Stay humble“ – bleib bescheiden. Das gelingt ihm. Auch im Interview vor der Show wird deutlich: Der Typ muss keine Künstlerpersönlichkeit kreieren. Er ist seine Künstlerpersönlichkeit, und die ist vor allem eins: Mensch geblieben.
Bei „Hocking“ marschiert vor meinem geistigen Auge eine Brass-Kapelle durch den Saal, die komplett dem Wahnsinn erlegen ist. Dazu Cosmo auf der Bühne mit einem hölzernen Percussion-Frosch. Dann spätestens kommt Tanzstimmung auf: Zu „Come Along“ zerscheppern ein paar Glasflaschen als gleichgültiges Opfer von losgelöst tanzenden Menschen. Übrigens: Lob ans Gretchen: Bier schmeckt aus Flaschen einfach besser als in Plastikbechern (gerne Abgucken – Astra und andere!). Im Text von „Solar“ wird der spannende Dichter und Mystiker William Blake rezitiert, wobei Cosmo zum Dirigenten wird. Das überwiegend feminine Publikum ist Singstar-erfahren und folgt den Anweisungen stimmlich bravourös. „Wriggle“ bildet das Ende: Und da sind sie: Die Sonnenblumen. Zwei Stunden vorher im Backstagebereich noch zusammengeflickt von der Crew, tänzeln drei Freunde von Cosmo im Sonnenblumen-Kostüm als glückliche Pflänzchen zum Beat umher, wobei vor allem die Sonnenblume rechts in ihrer Pflanzen-Darbietung besonders erblühte. Dann ist es nach gut anderthalb Stunden vorbei. Das Licht im Club ist an, doch am hellsten scheinen die lächelnden Gesichter glücklicher KonzertbesucherInnen. Sie reflektieren das ausgeglichene Dauer-Strahlen von Cosmo Sheldrake aus London. Von wegen in England scheint so selten die Sonne.
Lust Cosmo Sheldrake noch besser kennenzulernen? Ich hatte im Vorfeld der Show die Chance dazu und teile meine Erfahrungen aus dem Interview mit euch. Schaut einfach hier.
Matthew Mole am 08/02/18 im Cord Club, München
Verfasst von Pati
Blind wie ein Maulwurf stolpere ich in den Cord Club und sehe gar nicht, dass der, wegen dem ich eigentlich gekommen bin, direkt vor mir auf der Treppe steht. Nein, falsch. Ich nehme ihn schon wahr, erkenne ihn aber nicht als den, der er ist. Ich denke: „Das wird wohl einer der Jungs der Vorband sein oder ein Roadie.“ Aber nein, es ist Matthew Mole himself, der Headliner des Abends, der sehr nahbar wirkt und sich angeregt mit einem Fan unterhält.
Ich liebe es, Vergleiche zu ziehen und sein Nachname („Mole“ bedeutet – wie die Meisten von euch wissen dürften – auf Deutsch „Maulwurf“) bietet dafür die perfekte Vorlage, denn der 24-jährige Südafrikaner hat schon ganz schön Erde aufgeworfen. Mit seinem Debütalbum „The Home We Built“, das er 2013 veröffentlichte, hat er es als erster Künstler in seinem Heimatland am VÖ-Tag direkt auf Platz 1 der iTunes SA-Charts geschafft. Es folgten diverse Nominierungen für verschiedene Musikpreise und letztes Jahr die Veröffentlichung seines Zweitlings „Run“. In Südafrika hat er sich schon eine feste Fanbase aufgebaut und mithilfe seiner vor Kurzem absolvierten Tour in Deutschland möchte er hier dasselbe erreichen.
Erste Anzeichen für einen Erfolg seines Vorhabens lassen sich im Cord schnell entdecken. Der kleine Club ist gerammelt voll, hauptsächlich sehr junge Mädels, aber auch einige ältere Semester beiden Geschlechts lassen sich von seinem dynamischen Elektro-Gitarren-Pop mitreißen. Ob am Keyboard oder an der Gitarre, er versteht sein Handwerk und wirkt auch auf der Bühne noch genauso nahbar und sympathisch wie bei meinem ersten Eindruck auf der Treppe. Vielleicht tut er es seinem bisher wohl bekanntesten Artgenossen Pauli nach und hat bald auch in 80 Ländern der Erde treue Anhänger.
Prinzipiell kann man sich übrigens über Maulwürfe freuen, denn ihre Anwesenheit zeigt, dass zahlreiche Kleinlebewesen in der Nähe sind. Klein sind sie zwar nicht, aber Matthews Vorband und Landsmänner Opposite the Other sind für mich eine durchaus erfreuliche Entdeckung. Die Sonnyboys Samuel Burger, Dan Burger und Robbie Spooner, die wie der Headliner aus Kapstadt stammen, heizen schon mal so richtig ein und ebnen ihm so den Grund, den er dann später wieder aufwühlt. Auf Spotify findet man von ihnen bisher nur eine Handvoll Singles, aber immerhin wurden sie schon im „People’s Magazine“ erwähnt. Und wenn ich eine Prognose stellen darf: Die Jungs schaffen es bestimmt, mit ihrem ersten Album, international Fuß zu fassen. Ihre Spielfreude und positive Energie beschert ihnen in München ganz offensichtlich die ersten Fans fernab der Heimat und ihre frischen und mitreißenden Melodien überzeugen auch, wenn man sie nach dem fulminanten Live-Erlebnis noch mal in digitaler Form hört.
The Strypes am 27/01/18 im Lido, Berlin
Verfasst von Pati
Wenn das keine Rarität ist: Anfang zwanzigjährige Jungs aus Irland, die Rock’N’Roll- und Blues-Musik in der Tradition von den Yardbirds, den Rolling Stones, Chuck Berry und Howlin’ Wolf machen – um nur einige Einflüsse zu nennen – und das schon seit knapp acht Jahren... Und äußerst professionell... Kein Wunder, dass Größen wie Paul Weller, Noel Gallagher und Elton John wahre Lobeshymnen auf The Strypes singen.
Ich muss gestehen, dass ich mit dem musikalischen Œvre von Ross Farrelly (Gesang), Josh McClorey (Gitarre), Peter O'Hanlon (Bass) and Evan Walsh (Schlagzeug) noch gar nicht richtig auseinandergesetzt hatte, als ich entdeckte, dass während meines geplanten Berlin-Trips der angesagte Kreuzberger Club Lido als ein Stopp auf ihrer Deutschland-Tour vorgesehen war. Der Gassenhauer „Scumbag City“, den ich schon öfter mal gehört habe und der die Jungs auf meine Spotify-Künstler-Liste gebracht hat, genügte mir jedoch, um erahnen zu können, dass es ein Gig werden würde, den zu besuchen sich lohnte. Und natürlich lag ich damit keineswegs falsch.
Als ich eintreffe, ist der Opening Act Max Meser noch mitten im Set. Ein Glück, denn so komme ich noch in den Genuss der großartigen, stark von den 60er Jahren geprägten Musik des jungen Künstlers. Der halb Spanier, halb Niederländer, der an der Costa Brava aufgewachsen ist, aber vor einigen Jahren nach Amsterdam zog, um seine Leidenschaft, Musik zu machen auf ein professionelleres Level zu bringen, erinnert teilweise extrem an die Beatles. Glaubt man dem Wenigen, was man über ihn geschrieben findet, sollen die Liverpooler auch sein stärkster Einfluss sein. St. Pepper lässt grüßen:
The Strypes bleiben musikalisch zwar im selben Jahrzehnt wie ihr Kollege, tauschen jedoch deren Schlaghosen und Flower-Power-Hemden gegen klassische, eng geschnittene Anzüge (Peter), Hosen mit Karo-Muster (Ross), aber auch punkige Lederjacken (Evan) und für die Entwürfe Jean Paul Gaultiers typische, eng anliegende, blau gestreifte T-Shirts im Marine-Stil (Josh). Eine Hälfte der Band wagt also einen modischen Brückenschlag in die 70er, was sich beim Sound aber nicht bemerkbar macht.
Von Anfang an versprühen sie eine Energie, die ihrem Alter durchaus angemessen ist und sich blitzschnell aufs Publikum überträgt. Die obligate Bierdusche, die man üblicherweise nur von Konzerten auf den britischen Inseln kennt, lässt so auch nicht lange auf sich warten. Nachdem ich insgeheim schon auf ihre mitgereisten Landsleute geschimpft habe, muss ich entsetzt feststellen, dass es sich bei den Alkoholverschwendern tatsächlich um deutsche Fans handelt. Offensichtlich haben sie aber auch schon genug konsumiert, um ein paar Tropfen entbehren zu können. Auch wenn mir ihr expressives Getanze am Anfang ziemlich auf die Nerven geht, freue ich mich dann doch, dass sie genauso viel Spaß haben wie ich, The Strypes einmal live zu sehen. Denn um München haben sie schon bei ihrer Tour 2015 einen Bogen gemacht.
Auf der Bühne setzt sich besonders Bassist Peter O'Hanlon gekonnt in Szene. Mit einem extrovertierten Verhalten, das man sonst eher vom Frontmann kennt, versteht er es, das Publikum perfekt zu kontrollieren. Dass er sich auch selbst beherrschen kann, beweist er zusammen mit seinen Bandkollegen bei dem Lied „Angel Eyes“. Alle vier bleiben mitten im Song regungslos stehen. Als bereits eine halbe, erwartungsvolle Ewigkeit vergangen ist, bemerkt Gitarrist Josh McClorey trocken: „We can stand here all night.“ Hm... Weiß nicht. Dafür hat Peter doch zu viele Hummeln im Hintern, schätze ich.
Das Highlight ist der letzte reguläre Song ihres Sets: Bei „Scumbag City“ (yay, hier kann ich sogar mitgrölen!), fordert die Band das Publikum auf, sich in die Hocke zu begeben. Auf ihr Zeichen springen dann alle explosionsartig in die Höhe und im Saal gibt es kein Halten mehr. Verschwitzt und total aufgekratzt mache ich mich auf meinen Heimweg entlang der East Side Gallery und bin mal wieder begeistert darüber, was für eine Lebensfreude gute Musik vermitteln kann.
Yungblud am 05/01/18 in der Muffathalle, München
Verfasst von Pati
Manchmal hat man dieses überwältigende Gefühl, bei etwas Besonderem dabei gewesen zu sein. Sei es eine Demo, ein Sportereignis oder ein Konzert. Ich hatte genau dieses Gefühl letzten Donnerstag, als ich im Rahmen des Muffat Winterfests in München den erst 19-jährigen Briten Yungblud auf der Bühne habe herumwirbeln sehen. Doch statt des Konzerts hätte es auch eine Demo oder ein Sport-Event sein können. Denn Inhalte und Energie waren denen dieser Ereignisse nicht unähnlich.
Und statt Yungblud hätte Dominic Harrison, so sein bürgerlicher Name, auch Hotspur oder Jack of all Trades als Künstlernamen wählen können. Hotspur, weil seine Energie auf der Bühne seinesgleichen sucht. Mal dreht er sich wie ein Dreidel im Kreis, bis einem schon vom Zuschauen schwindelig wird, dann kickt er um sich, als wolle er neu erlernte Martial-Art-Moves vorführen. Bei einem so hyperaktiven Zielobjekt ein vernünftiges Foto zu bekommen, ist fast unmöglich (wie man an der kleinen Auswahl unschwer erkennen kann...). Jack of all Trades, weil er sich musikalisch bei fast allem bedient, was seine Heimatinsel so hergibt: Madchester, Ska, Punk, Indie, Rap... Sprich: Er wirft alles zusammen, was extrem tanzbar ist. Mit seinem Tamburin könnte er auch glatt als unehelicher Sohn des Stone-Roses-Frontmanns Ian Brown durchgehen, besonders bei dem Lied „Loner“, in dem sehr starke Anklänge an die Musik dieser Band mitschwingen.
Doch Yungblud passt dann wahrscheinlich doch am besten, denn die britische Musikszene braucht unbedingt frisches Blut. Zugegeben, sie produziert sehr verlässlich guten Gitarren-Rock und -Pop, doch selten hat man als Hörer das Gefühl, einen neuen künstlerischen Ansatz zu entdecken und meistens kann man mindestens drei Bands aufzählen, an die man sich erinnert fühlt. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, das kann man bei Yungblud auch, doch sind die Referenzen bei ihm nicht auf ein einziges Genre beschränkt. The Charlatans, Jamie T, The Specials, Rat Boy sind nur einige, die teilweise nur akkordweise aufblitzen. Nur an den Glam Rock von T.Rex erinnert nichts, obwohl sein Großvater in den Siebzigern bei den Wegbereitern dieses Genres mitgewirkt hat. Außer vielleicht Yungbluds pinkfarbene Socken, die wohl so etwas wie sein Trademark sind, kennt man sie doch bereits aus seinen Videos.
Seine Performance wirkt, als hätte er nie etwas anderes getan, als auf der Bühne zu stehen, und verbindet eine smarte Cockiness und die Rotzigkeit der frühen Oasis mit einer fast schon comichaft überzeichneten Rapper-Arroganz. Auch potenziell Skandalöses darf da natürlich nicht fehlen: So spucken er und sein Gitarrist sich an, als seien sie verfeindete Fußball-Hools, und bei „Polygraph Eyes“, der einzigen Ballade, fasst er sich während des gesamten Liedes in den Schritt, was seine Wirkung bei ihm und den weiblichen Teenagern direkt vor der Bühne ganz offensichtlich nicht verfehlt.
Seine Texte klingen wie politisch motivierte Protestsongs gegen die Verschwendung von Steuergeldern, das Vernachlässigung der jungen Generation und die überall stattfindende Gentrifizierung. Sozialkritik hört man selten bei jungen Bands, doch gerade scheint da eine neue Bewegung zu entstehen. Denn auch bei The Blinders, einer ebenfalls blutjungen Indie-Rock-Kombo, kann man solch kritische Worte vernehmen. Interessanterweise ist ihre Heimat dieselbe wie die von Yungblud, nämlich Doncaster in Yorkshire, das ich eher mit anderen Erlebnissen verbinde, aber es wäre zu privat, das hier auszuführen... Könnte diese als Industriestandort bekannte Stadt zum Epizentrum einer durch den Brexit heraufbeschworenen, neuen musikalischen Protestbewegung werden? Wie dem auch sei, ihre Exporte in diesem Bereich sollte man auf jeden Fall im Auge bzw. Ohr behalten.
Das sechs Lieder umfassende Set lässt mich vom Tanzen verschwitzt, aber glücklich über diese Neuentdeckung und mit Zuversicht auf guten musikalischen Nachwuchs ins neue Jahr starten.
Guns n‘ Roses "Not In This Lifetime" –Tour 2017
Verfasst von Mari
Nun war es also so weit. Endlich meine Lieblingsband von damals live erleben. Mein Mann hatte mir eine große Freude gemacht und uns Tickets für diesen besonderen Event gekauft. Sogar doppelt: Für den 13.6. in München und 1.7. in Hämeenlinna, Finnland. Die Ticketpreise waren zwar recht salzig, aber was tut man nicht alles, um den Sänger W. Axl Rose, Gitarristen Slash und Bassisten Duff McKagan aus der Ursprungsbesetzung nach über 20 Jahren Abstinenz gemeinsam live auf der Bühne zu erleben?
Eine Woche vor dem erwarteten Tag fing ich schon an, mich mental für das wohl wichtigste Konzert meines Lebens vorzubereiten. Ich legte wieder die alten Platten auf, sang mit, hängte ein paar alte Poster auf und suchte verzweifelt nach meinen T-Shirts und anderem Bandmerch. „Warum zum Teufel hängt dieses anorektische Frettchen an der Wand?“ keifte mein Mann, als er das Juwel meiner Sammlung sah, ein Laken mit originalgroßem Bild von Axl, das ich mir 1989 in Helsinki gekauft hatte. Ich tat so, als hätte ich ihn nicht verstanden und sang weiter „You know where the f*** you are? You’re in the jungle, baby! You‘re gonna dieeeeeeee!“
Ich ging sogar so weit, dass ich mir das viel verpönte Album „Chinese Democracy“ anhörte, das Axl alleine mit anderen Musikern geschrieben hatte. Für mich gilt es nicht als Gn’R-Album und bis jetzt hatte ich ihm nie wirklich Aufmerksamkeit gewidmet. Dermaßen beleidigt war ich gewesen, als die Bandmitglieder getrennte Wege gegangen sind und Axl sich trotzdem wagte, unter dem Bandnamen weiter zu musizieren - mit lauter Statisten wie ich meinte. Aber jetzt musste ich feststellen: Das Album ist gar nicht so schlecht. Klar ist es nicht mit „Appetite“ zu vergleichen, aber mit dem Rest der Sammlung zumindest teilweise schon. Und immerhin ist es Axls Stimme, also was will ich mehr. Ich begann schon zu hoffen, ein paar von diesen Liedern auf dem Konzert zu hören.
Und dann kam der Tag, auf den ich so sehnsüchtig gewartet hatte. Den ganzen Dienstag hatte ich frei genommen, denn konstruktives Arbeiten wäre eh nicht drin gewesen. Das Wetter war toll, die Stimmung bestens, die U-Bahnen platzten aus allen Nähten, und überall wimmelte es nur so vor Gn‘R-Shirts. Noch nie hatte ich so viele Fans mit T-Shirts von einer Band auf einem Konzert gesehen. Beeindruckend.
Ein neues Fanleibchen habe ich mir aber nicht gegönnt, weil der Preis mich nervte – 35 Euro für ein Stück Stoff mit einer Kugel, Pistolen und Rosen drauf. Nein, mir haben zwei Plastikbecher mit dem blutigen Gunners-Logo gereicht. Ich trug stolz mein fast dreißig Jahre altes Appetite-Shirt mit dem Schriftzug „Welcome to the Jungle“ auf dem Rücken. Ein zweites Exemplar konnte ich nicht sichten!
Die erste Vorband Phil Campbell & The Bastard Sons haben wir leider teils verpasst, da die Sicherheitskontrollen sehr lange gedauert haben. Mir wurden sogar meine Datteln abgenommen. Ganz eindeutig hatte das weniger mit Sicherheit zu tun, vielmehr wollte der Veranstalter sein Zeug an den Mann bringen und erlaubte deswegen nicht einmal eigene Snacks. Trotzdem gelang es mir, ein paar Müsliriegel und eine faltbare, auffüllbare Trinkflasche ins Stadion zu schmuggeln. Ha! Soweit wir das Konzert noch hören konnten, hat Phil Campbell gut gerockt – weniger kann man von dem Ex-Motörhead-Gitarristen auch nicht erwarten!
Und dann kamen als zweite Vorband The Kills. Na ja. Die Mucke war für das ungeduldige Gunners-Publikum einfach zu spacy, und Stimmung hat die Band nicht wirklich gemacht. Keine Kommunikation mit den Fans oder Ähnliches. Ich hatte das Gefühl, niemand klatschte oder jubelte. Ein Kumpel von mir, der ganz vorne stand, erzählte mir jedoch später, die Leute hätten schon wild applaudiert… nämlich als die Band ankündigte, ihren letzten Song zu spielen!
Nachdem The Kills ihr Zeug weggeschleppt hatten, konnte ich mich kaum noch vor Spannung und Nervosität halten. Vor dem Gig liefen auf den riesigen Leinwänden Bilder von Gunners-Logos und andere Animationen die man als eingefleischter Gn’R-Fan natürlich kennt.
Nach einer für Axl-Verhältnisse relativ kurzen Pause, kam aus dem OFF die Ankündigung: Please welcome, from Hollywood, Guns n‘ Roses!
Da waren schon Schlagzeuger Frank Ferrer, Keybordistin Melissa Reese, Keybordist Dizzy Reed und Gitarrist Richard Fortus auf der Bühne. Und dann sah ich Duff und Slash, die die ersten Töne von „It’s so easy“ raushauten! Und Axl lief in zerrissenen Jeans und Sonnenbrille auf die Bühne. Die ganze Menschenmasse mit 75.000 Leuten explodierte, die jungen Fans vor mir brüllten die Lyrics so lautstark mit, dass ich Axl kaum verstanden habe. Egal, einfach genial.
Es folgten viele Lieder von „Appetite“ und sogar drei von „Chinese“, was mich sehr gefreut hat. Jedoch hat man gemerkt, dass ich eine der wenigen war, die diese Platte kannte. Von den „Use Your Illusion“-Alben spielten sie relativ wenig Songs. Wenn man jedoch bedenkt, dass megalange, epische Lieder wie „Coma“ und „Estranged“ (zwei meiner Lieblingssongs aus dieser Ära) und die obligatorischen Superballaden „November Rain“ und „Knockin‘ on Heaven‘s Door“ (Original von Bob Dylan) darunter waren, und alle um die zehn Minuten dauern, ist es verständlich. Sie spielten auch viele andere Covers: „Black Hole Sun“ zu Ehren des vor kurzem verstobenen Chris Cornell und „The Seeker“ von The Who. Duff sang auch den Song „New Rose“ von The Damned, das auf dem Coveralbum „Spaghetti Incident?“ enthalten ist. Duff ist eh der Punker unter den Gunners und hat schon mit seiner eigenen Band Loaded vor allem punkiges Zeug herausgebracht und seine rotzige Singstimme zum Einsatz gebracht.
Die Band befand sich – entgegen vieler Unkenrufe – in Topform, wie ich finde. Der Sound war abgesehen von den zwei, drei ersten Liedern für ein Open Air voll in Ordnung. Slash und Richard Fortus harmonierten gut auf der Bühne. Bei den Songs von „Chinese Democracy“ spielte Richard die Leadgitarre, sonst übernahm natürlich Slash diese Rolle. Oft zeigte sich der Dreierpack Axl, Slash, Duff nebeneinander auf dem vorderen Teil der Bühne, wohl der Fans zuliebe, für die gerade diese drei Originalmitglieder Guns n‘ Roses präsentieren. Axl sang besser als erwartet, sogar die höheren Töne traf er sicher. Gutgelaunt kommentierte er „I remember this place…“ Vor 24 Jahren hatten sie schließlich im selben Stadion bei der „Use Your Illusion“ -Tour gespielt und einen Teil des Videos für das Lied „Estranged“ gefilmt.
Ich bekam sogar noch mein Lieblingslied „Rocket Queen“ zu hören. Und es live zu erleben, dass Axl am Klavier mit opulentem Cowboyhut und riesen Klunkern an den Fingern (Dinge, die nur ein Rockstar tragen kann ohne komplett lächerlich zu wirken) die ersten Töne von „November Rain“ spielt… das waren meine persönlichen Konzerthighlights und wohl sogar meines ganzen Lebens.
Am Ende kam die Band noch zusammen auf die Bühne, um sich vor den begeisterten Fans zu verbeugen, und das Ganze endete mit einem kleinen Feuerwerk in den Münchener Nachthimmel. Abschließend machte Slash noch einen Handstand und so verschwanden die Helden meiner Jugend hinter den Kulissen.
Nach knapp drei Stunden frenetischem Hüpfen und Staunen schwankte ich müde, aber glücklich mit grenzdebilem Grinsen im Gesicht Richtung U-Bahn. Ein unvergesslicher Abend! Now I can die with no regrets.
Setlist:
It's So Easy
Mr. Brownstone
Chinese Democracy
Welcome to the Jungle
Double Talkin' Jive
Better
Estranged
Live and Let Die (Wings cover)
Rocket Queen
You Could Be Mine
New Rose (The Damned cover) (mit "You Can't Put Your Arms Around a Memory)
This I Love
Civil War (mit "Voodoo Child" outro)
Yesterdays
Coma (mit Band Vorstellung)
Slash Guitar Solo
Speak Softly Love (Love Theme von The Godfather) (Nino Rota cover)
Sweet Child O' Mine
Out Ta Get Me
Wish You Were Here (Pink Floyd cover) (Slash & Richard Fortus Gitarren Duett)
November Rain (with "Layla" piano exit intro, Eric Clapton cover)
Knockin' on Heaven's Door (Bob Dylan cover) (mit Alice Cooper's "Only Women Bleed" intro)
Nightrain
Encore:
Black Hole Sun (Soundgarden cover)
Don't Cry
The Seeker (The Who cover)
Paradise City
Die Münchener Ekstase musste also noch in Finnland getoppt werden. Andererseits machte ich mir eigentlich keine Gedanken mehr, da ich sie ja schon gesehen hatte. Aufgeregt und voller Vorfreude war ich trotzdem wieder.
In meiner nördlichen Heimat habe ich einen Tag vor dem Konzert die Infos auf der Homepage von Gn’R Finland gecheckt. Es wurde vor großen Staus, wenigen Parkmöglichkeiten und strengen und zeitaufwändigen Sicherheitskontrollen gewarnt. Ich war skeptisch, jedoch machten wir uns rechtzeitig mit dem Auto auf dem Weg. Denn 65.000 verkaufte Tickets, das ist einiges in Finnland.
Etwa nach eineinhalb Stunden unbeschwerter Fahrt erreichten wir unser Ziel: die Kleinstadt Hämeenlinna. Wir fuhren den Wegweisern nach zum Parkplatz, wo ein paar Autos rumstanden. Geparkt, no prob. Tja, das sind wohl Verkehrs- und Parkplatzprobleme finnischer Art. Picknick gemacht, festivalfeste Klamotten angezogen, Rucksack gepackt und auf ging’s Richtung Festivalgelände.
Nach einem halbstündigen Fußmarsch durch die finnische Einöde erreichten wir schließlich unser Ziel. Wir lachten laut, als wir den Eingang sahen. Da standen nur die Security-Leute. Wo waren die Massen an Leuten, wovor Gn’R Finland gewarnt hatte? Wir schlenderten also zu zwei kleinen Mädels mit blondem Pferdeschwanz. Eines von ihnen sah kurz in unseren Rucksack und kommentierte: „Ah, schön, dass ihr Brotzeit und Getränke dabei habt!“ Kein Mucken über unsere Plastikflaschen, Brotzeitboxen, Obst etc. Das war’s mit dem Bodycheck. Ich hätte die Pistolen aus dem Gunners-Logo mit zum Konzert nehmen können. Super locker, die Finnen!
Als erster supporting act trat Michael Monroe auf. Er ist der legendäre Sänger von Hanoi Rocks, einer finnischen Band, die einen großen Einfluss auf die L.A.-Rockszene in den 80ern hatte. So auch auf die musikalische Entwicklung von Guns n‘ Roses. In den Anfängen von Gn’R sah Axl noch aus wie eine Kopie von Mike. Mike hat auch öfter mit den Gunners zusammengearbeitet und ist mit den Original-Bandmitgliedern befreundet. Also war es kein Wunder, dass die Band ihn im Vorprogramm hatte.
Er performte wie immer: Mit wahnsinniger Energie, kletterte am Bühnengerüst rum und riss das Publikum mit. So weit wie möglich – wir waren ja schließlich in Finnland. Der Finne an sich zeigt nur mäßig Emotion… Mike Monroe ist da eine willkommene Ausnahme. Als letzter Song sang er das alte Lied „Dead, Jail and Rock n‘ Roll“. Die eingefleischten Fans wissen selbstverständlich, dass Axl seinerzeit einen Gastauftritt in dem Video hatte.
Nach Mike kam die zweite Vorband: Die Briten The Darkness. Ich fand die Performance sehr gut, aber Sänger Justin Hawkins zeigte recht deutlich seinen Unmut gegen das – für ihn – zu lahme Publikum. Tja, man kann nicht erwarten, dass der Finne so ausflippt wie ein Brasilianer. Das hat man zu akzeptieren. Und als Vorband muss man zufrieden sein, wenn man nicht mit Bechern beworfen wird.
Und dann begann das große Warten. Die Gunners haben ja den Ruf, zu spät auf der Bühne zu erscheinen. Dies galt jedoch scheinbar nicht mehr für diese Tour und ehrlich gesagt stammt diese Behauptung aus den frühen Neunzigern, als Gn’R ihre „Illusion“-Alben promotet haben. Obwohl es schon ewig her ist, scheint das in den Köpfen vieler Menschen geblieben zu sein. Diese Zeit gilt zugleich als der Höhe- als auch der Tiefpunkt der Band. Axl hatte sich in einen verwöhnten Multimillionär-Rockstar verwandelt, der Probleme mit seiner mentalen Gesundheit hatte. Und der Rest der Band hatte ihren Alkohol- und Drogenkonsum nicht im Griff.
Die Kommunikation zwischen den Bandmitgliedern funktionierte so gut wie sie eben mit Alkoholikern, Junkies und sonstigen Verrückten funktioniert. Mittlerweile haben alle ihre Süchte und Eskapaden offensichtlich im Griff und kommen wieder miteinander zurecht. Also rechtzeitig auf der Bühne zu erscheinen müsste machbar sein!
Der finnische Sommerabend wird ja nicht dunkel, aber als die Band auf sich hat warten lassen, kamen die alten Geschichten im Publikum wieder hoch. 40 Minuten nach der angekündigten Zeit ertönte wieder der Donald-Duck-Song und kündigte den Gig an!
Was mich wieder ein wenig störte – ähnlich wie in München – war die Tatsache, dass Axl so gut wie keinen richtigen Kontakt zum Publikum gesucht hat. In den früheren Gigs der 90er erzählte er zumindest zwischendurch ein wenig dies und das oder kündigte die Songs etwas ausführlicher an. Obwohl, als der Abend länger wurde – wegen der Verspätung noch länger als erwartet – richtete Axl tatsächlich ein paar persönliche Worte an die Fans: „Would you like to hear a couple more songs? If not, it’s fine to me, just wanted to make sure…” Das war wohl als Entschuldigung für die Verspätung zu nehmen.
Eine andere kleine Enttäuschung war, dass Mike Monroe nicht mit ihnen auf die Bühne kam. Ich hatte fest damit gerechnet, dass er Saxophone oder Mundharmonika mit den Gunners spielen würde. Vielleicht passte das einfach nicht zu der Songauswahl oder die Choreo der Show bot keinen Platz für Spontanität. Was ziemlich Schade ist.
Der Hämeenlinna-Gig war fast identisch mit dem von München, zusätzlich wurden noch „Patience“ und „Whole Lotta Rosie“ (Original von ACDC) gespielt. Ich hätte sehr gern „Used To Love Her“, „My Michelle“ oder „Think About You“ gehört, aber ich beschwere mich nicht. Schließlich mag ich fast jeden Song von Gn’R, nur „Knockin‘ On Heaven’s Door“ nervte damals wie auch heute. Na ja, ist ja eh ein Cover.
All in all: Die Band war super drauf und Axl gut bei Stimme. Die Keyboardistin Melissa Reese trug ein Moomin-Shirt und Duff die Sonnenbrille von Mike Monroe sowie ein T-Shirt einer 80er Helsinkier Streetband namens Smack. Pretty cool und letztendlich eine Verbeugung vor der finnischen Kultur und Musikszene!
Das Publikum in München und in Hämeenlinna kann man dafür gar nicht miteinander vergleichen. In München hüpften, schrien und sangen die Fans so, dass es teilweise schwer war, die Band zu hören. In Hämeenlinna dagegen war ich beinahe die Einzige, die nicht nur zwischen den Songs höflich applaudiert hat. Mein Mann sagte, es käme ihm vor, als wären wir auf einer Beerdigung anstatt eines kick ass Rockkonzerts. Na ja, so schlimm war’s auch wieder nicht, und was soll’s, so habe ich persönlich mehr von dem Konzert gehabt und besser gesehen.
Nach dem Konzert hörte ich mich um, ob es den Leuten gefallen hat. Hier ein paar Sätze die ich aufgeschnappt habe:
„Mann, was für ein Gig. Jetzt muss ich nie wieder auf ein Konzert gehen… Ich meine, zu KEINEM Konzert! Egal welche Band.“
„10 von 11. Der eine Punkt Abzug, weil mein bester Kumpel nicht dabei war. Er ist ein Riesenfan. Für die Band volle Punkte.“
Das Konzert endete mit einem großen Feuerwerk, angesichts der Location in the middle of nowhere viel bombastischer als in München. Grundsätzlich finde ich, dass ein gutes Konzert den Schmarrn nicht braucht, aber anscheinend gehört es dazu bei Open-Air-Auftritten größerer Bands. Im Freudentaumel brach ich letztendlich auch meine eigenen Gesetze und kaufte mir doch noch ein klassisches Gn’R-Shirt mit einer Mischung von Tattoos von Axl und Duff vorne und den Tour-Dates auf dem Rücken. So gegen halb drei traten wir die Heimfahrt durch die nachtlose Nacht an.
Für einen Hardcore-Fan wie mich hat sich das voll gelohnt. Würde ich das noch mal machen, noch mal Guns n‘ Roses live anschauen? Anytime!
Setlist:
It's So Easy
Mr. Brownstone
Chinese Democracy
Welcome to the Jungle
Double Talkin' Jive
Better
Estranged
Live and Let Die (Wings cover)
Rocket Queen
You Could Be Mine
New Rose (The Damned cover) (mit "You Can't Put Your Arms Around a Memory)
This I Love
Civil War (mit "Voodoo Child" outro)
Yesterdays
Coma (mit Band Vorstellung)
Slash Guitar Solo
Speak Softly Love (Love Theme von The Godfather) (Nino Rota cover)
Sweet Child O' Mine
Out Ta Get Me
Wish You Were Here (Pink Floyd cover) (Slash & Richard Fortus Gitarren Duett)
November Rain (with "Layla" piano exit intro… more )
Black Hole Sun (Soundgarden cover)
Knockin' on Heaven's Door (Bob Dylan cover) (mit Alice Cooper's "Only Women Bleed" intro)
Nightrain
Encore:
Don't Cry (mit The Allman Brothers Band's "Melissa" intro)
Whole Lotta Rosie (AC/DC cover)
Patience
The Seeker (The Who cover)
Paradise City
Júníus Meyvant am 11/02/17 in der Elbphilharmonie, Hamburg
Verfasst von Pati
Auf den letzten Drücker schaffe ich es noch pünktlich zur Mitternachtsvorstellung in das Millionenprojekt am Hamburger Hafen. Die wie im Märchen sich selbst auffüllende Scheurebe und der chillige Rhythmus des 70ies Soul, die ich im Vinyl Room im 25 h Hafen City genießen durfte, hätten mich fast die Zeit vergessen lassen. Und so waren sie gerade der perfekte Auftakt für das, was mich erwartete. Trotz der gebotenen Eile kann ich nicht anders als überwältigt innezuhalten. Auf einer Rolltreppe, die nicht im 45°-Winkel, sondern allmählich ansteigend wie einen Hügel hinauf durch einen cremeweißen Tunnel führt, an dessen Wänden eingefasst kreisrunde Glasscheiben funkeln und glitzern.
So geht es hinauf in ein oberirdisches Königreich, in dem gleich ein Lichtalb sein musikalisches Unwesen und viel Schabernack treiben soll. Mit seinen vier Gehilfen, die fast allesamt derselben, nämlich seiner, Sippschaft entstammen, betritt er ganz unprätentiös die Bühne. Gekleidet als hätte er vor, in seiner Gartenlaube die Rechen neu zu sortieren – oder was isländische Elfen in ihrer Freizeit sonst so treiben – und nicht als würde er gleich in ehrwürdigem Ambiente vor ausverkauftem Haus Soul-Pop und Retro-Funk zum Besten geben. Doch das passt ins Bild und eben zur Musik.
Schnell stellt sich heraus, dass Júníus Meyvant, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Unnar Gisli Sigurmundsson heißt – aber das merke sich mal jemand – , ein gar lustiger Geselle ist. Denn nachdem er sich vorgestellt hat, macht er den Vorschlag, dass jeder Einzelne im Publikum dasselbe tut. Zum Glück nimmt er selbst schnell Abstand von dieser zwar interessanten, aber doch recht zeitintensiven Idee und macht, wofür er gekommen ist: Er stellt sein Debütalbum „Floating Harmonies“ live vor. Und so mutiert die fünfköpfige Formation bald zum Symphonieorchester, zur funky Bigband, die Streicher, Hörner und Harfen gekonnt imitiert.
Die Arrangements fließen leichtfüßig und luftig-locker über knapp eine Stunde durch die Gehörgänge und sind am besten mit geschlossenen Augen zu genießen, wobei filigrane Lichteffekte das Märchenhafte der gesamten Szenerie doch eindrucksvoll zu unterstreichen wissen.
Unterbrochen wird der Musikfluss nur durch Meyvants amüsante Bonmots, die dem Volk aus dem hohen Norden so eigen sind. Ein Lied widmet er zum Beispiel einem guten Freund, der sich selbst als „redecorator“ bezeichnet, weil er fremde Wohnungen ausräumt. Als Ausgleich hinterlässt er angeblich immer einen IKEA-Katalog, was dem schwedischen Möbelhaus zu einem beachtlichen Erfolg in Island verholfen haben soll. Der rotbärtige Barde scheut sich auch nicht davor, seine Männlichkeit augenzwinkernd infrage zu stellen. Als er dachte, er sei allein zu Hause und seine Frau kam dann doch unerwartet aus dem Badezimmer, habe er geschrien wie ein kleines Mädchen. Nur seine Behauptung, das Wasser, das er zwischendurch zu sich nehme, sei Wodka, kann ich partout nicht glauben, denn dafür trinkt er als Isländer zu langsam.
Cage The Elephant am 29/01/17 im Technikum, München
Verfasst von Pati
Wochenende. Zeit für die Familie. Was gibt es da Schöneres für die Kleinen als einen Ausflug in den Zoo? Und weil wir ja unkonventioneller sind als die anderen, gehen wir eben nicht am Sonntagmittag, sondern abends.
Die Kinder dürfen dann auch ganz nach vorne an den Zaun. Nett sind sie anzuschauen, mit ihren festen Zahnspangen und dem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht, das sich gerne einstellt, wenn sie auf Tuchfühlung mit einem possierlichen Tierchen gehen. Da geht auch den Erwachsenen das Herz auf. Doch oh Schreck! Sobald das animalische Exponat das Gehege betritt, fragen sich die Eltern schnell, ob das wirklich eine so gute Entscheidung war. Aus einer Fliege sollte man zwar keinen Elephanten machen, aber wenn dieser viel eher ein wild gewordener Flummi ist, der auf der Bühne hin und her titscht, möchte man sich beschützend vor die eigenen Jungen stellen. Könnte ja ’ne Beule geben. Oder ein Trauma, das man jahrelang und für viel Geld psychotherapeutisch behandeln lassen muss. Doch es ist nur dieser eine Dickhäuter, der wirkt, als würde er rosa Artgenossen sehen, weil er es beim Naschen der Magic Mushrooms übertrieben hat. Seine Herdenkollegen umrahmen ihn statisch, wie um ihn einzusperren. Vielleicht, um den Bandnamen bildlich nachzustellen. Na, solange sie ihn nicht tanzen...
Die Töne, die sie dabei erzeugen, passen wieder zu den vorher erwähnten bewusstseinserweiternden eukaryotischen Lebewesen: ein bisschen psychedelisch und ordentlich laut. Wer sich mit ihrem Werk schon eingehender beschäftigt hat, erkennt Klassiker wie „Ain’t No Rest For The Wicked“, aber auch neues Schönes wie „Cold Cold Cold“ oder „Mess Around“. Letzteres zeigt verdächtige Ähnlichkeit mit dem Oeuvre ihres neu verpflichteten Wärters, Dan Auerbach, einer Hälfte des genialen Blues-Rocker-Duos The Black Keys. Plötzlich löst sich einer der weniger bewegungsaktiven Dumbos und bricht aus dem Gehege aus! Um Gottes Willen, die Kinder! Doch schnell wird klar: Er will nur spielen. Und das auf seinem Bass, den er am Ende schwungvoll aus dem Publikum zu einem Helfer auf die Bühne wirft. Da sag noch mal einer, Elephanten seien schwerfällig!
Was kann jetzt noch Schlimmeres passieren? Wir entspannen uns und gehen zur Tränke, um das Spektakel von dort weiter zu verfolgen. Und da schau her, hier sind also all die anderen Eltern! Da fühlt man sich doch direkt nicht mehr so fehl am Platze und kann den Rest der Vorführung ganz gechillt genießen.