Primavera Sound vom 31/05 bis zum 04/06

Verfasst von Pati am 10/07/17

 

Begrüßt wird der Festivalbesucher durch wabernde Leuchtlettern, die eine programmierte La Ola vollführen und sich zum Namen der hier stattfindenden Musikveranstaltung zusammensetzen: Primavera Sound. Nach der Sicherheitsschleuse warten zu beiden Seiten Spalier stehend Holzverschläge, in denen Künstler sitzen, die ihre Liebe zur Musik bzw. bestimmten Bands in kunstvoll bedruckte T-Shirts kanalisieren und diese ohne jegliche Marktschreierei, sondern allein durch deren kreativen Wert versuchen an den gleichgesinnten Musikliebhaber zu bringen. Neben im Line-up vertretenen Bands wie Arcade Fire und Descendents finden sich auch All-time Favourites wie Foals, Nada Surf oder Nirvana

 

Der Kopf, angenehm stimuliert von den vielfältigen und teils ungewöhnlichen grafischen Darstellungen der eigenen Lieblingsbands, wird vom nächsten Anblick fast überwältigt: dem munter glitzernden Meer mit einem scheinbar endlosen Horizont. Das ist die Kulisse, die von einem nicht irdischen Bühnenbildner als Backdrop für das Primavera Sound vorgesehen wurde. Na ja, eigentlich war es anders herum und die Veranstalter haben in dem Areal mit Meerblick, dem Parc del Fòrum, seit 2005 das ideale Setting  für ihr Musikfestival der Sonderklasse gefunden.

 

Doch nicht nur das Umfeld ist perfekt, auch die Organisation könnte besser nicht sein: zehn Bühnen, zwischen denen schnell zu wechseln ist, die sich aber klanglich nie in die Quere kommen, eine Fressmeile mit Veganem, Lokalem und Deftigem, das keine Wünsche offen und die Geschmacksknospen sprunghaft erblühen lässt, spülbare Toiletten (für Damen in unserem Alter der Himmel auf Erden!), bei denen das Papier nie auszugehen scheint, genügend Brunnen mit zahlungspflichtigen alkoholischen Getränken, aber auch welche, an denen man sich kostenlos hydrieren kann. Dazu noch ein Line-up, das genauso eklektisch ist, wie die kulinarische Auswahl, und ein Publikum, das jegliches prätentiöses Gehabe angenehm vermissen lässt und dem es wie uns nur um eines geht: gute Musik zu genießen.

 

Die musikalische Reise quer durch verschiedene Genres, Länder und Altersstufen geht für uns bereits los, bevor der Parc del Fòrum überhaupt seine Pforten offiziell geöffnet hat. Denn ab Montag, dem 29. Mai, gibt es bereits in verschiedenen Off-Venues die Möglichkeit, in Festivalstimmung zu kommen. So schauen wir uns zum Einstand im Apolo (Hintergrundinfo zum Venue bekommt ihr hier), die  sehr unterhaltsamen Wave Pictures an, die das letzte Mal 2010 auf dem Primavera gespielt haben. Sie erheitern mit lustigen Songs, in denen es zum Beispiel um lange, italienische Nudeln oder das Hüten von Federvieh geht, überzeugen aber auch musikalisch mit einer Reise durch ihre bisherigen Werke, wobei der Hauptfokus auf ihrem wahrscheinlich erfolgreichsten Album “Instant Coffee Baby” liegt. Mission Festival-Kick-Off zu unserer Zufriedenheit abgeschlossen!

 

Am Dienstag legen wir schon eine musikalische Pause ein, aber nur, um uns von Raúl und Xoán, Mitgliedern der Barceloneser Band Muñeco, interessante Ecken ihrer Heimatstadt zeigen zu lassen. Wenn ihr demnächst einen Trip nach Barcelona plant oder die Stadt einfach nur auf andere Art kennenlernen möchte, dann klickt einfach auf diesen Link. Zusätzlich haben sie uns noch ein Interview für unseren Festival-Film gegeben, den hier genau hier drunter findet. ê

 

 

Am nächsten Tag geht das Festival offiziell los, aber erst mal finden nur eine Handvoll Konzerte auf dem Gelände statt. Unter anderem lassen wir uns von dem katalanischen Quintett Anímic in eine dunkel-poppige Welt minimalistischer Elektrobeats entführen, die von der kraftvollen Stimme der Frontfrau Louise Sansom getragen wird, wie unsere Erde von Atlas. 

Mehr Einheimisches kommt von der Rap-Formation 7 Notas 7 Colores um MC Mucho Muchacho. Im spanischen Hip-Hop vollkommen unbewandert halten wir sie für den neuesten Scheiß, erfahren dann aber, dass die Jungs schon 20 Jahre im Geschäft sind. Vielleicht haben wir uns davon täuschen lassen, dass der Master of Ceremony wie wir in der U-Bahn angereist ist und nicht nur dort sein Skateboard geschultert hatte, sondern mit demselben auch auf die Bühne gerollt kommt. Aber auch die Tatsache, dass sie Skater der Szene um den Plaça dels Àngels (hier könnt ihr manche der Jungs in Action sehen), mit der sie eng verbunden sind, auf der Bühne ihre Kunststückchen vorführen lassen, gibt ihnen eine Air der Jugendlichkeit und des Normalotums. 

Als letzte Band sehen wir uns im Fòrum die in L.A. beheimateten Local Natives an, die ihre Vielseitigkeit mit einem Cover von Kanye Wests Gospel-Hit “Ultralight Beam” unterstreichen und dem Original eine wunderbare und für meinen Geschmack zusagendere Note verleihen. 

Doch damit ist unser Konzerttag noch nicht zu Ende: Abends geht’s ins Barts, wo wir zu den Beats der Dance-Punk-Band Formation noch mal so richtig abtanzen. Die Zwillingsbrüder Will und Matt Ritson hatten uns schon auf dem PULS Festival im letzten Herbst zum begeisterten Mittanzen gebracht und sorgen auch bei ihrem Off-Site-Gig für ordentlich schweißtreibende Stimmung.

 

An Tag 2 geht es munter weiter: Pinegrove werden gerade ziemlich gehypt. Und das zurecht, denn die fünfköpfige Band aus New Jersey begeistert bei ihrem Auftritt auf einer der kleinsten Bühnen des Festivals mit ihrem power-indie-americana-Sound die trotz des frühen Slots doch sehr zahlreich vertretenen Zuhörer.

Ihre Landsmänner von Cymbals Eat Guitars reißen mich dagegen nicht so mit. Der stilisiert herausgepresste Gesang von Frontmann Joseph D’Agostino wirkt zu gewollt und die Arrangements sind auch keine Neuerfindung des Indie Rock.

Als Nächstes steht eine für uns sehr lohnende Neuentdeckung an: Triángulo de Amor Bizarro. Das Noise-Rock-Quartett aus La Coruña wird in seiner Heimat bereits als die neuen Helden dieses Genres gefeiert und lässt es auf der Bühne auch richtig krachen. Um international erfolgreich zu sein, sollten sie allerdings an ihren Englischkenntnissen feilen. Sängerin Isabel konnten wir dann auch nur auf Spanisch interessante Facts über die Band und den Frühling entlocken (das Interview findet ihr in unserem Festival-Film oben).

Am Abend dürfen wir der lange erwarteten Rückkehr des musikalischen Kollektivs Broken Social Scene beiwohnen, um das es sieben Jahre lang eher ruhig gewesen ist. So gerät das Konzert dann auch zu einer emotionalen Huldigung des Indie-Rock, an der zehn Musiker beteiligt sind, unter anderem die bekannten Vertreterinnen der kanadischen Rockszene Amy Millan (Stars) und Emily Haines (Metric), die keinerlei Stutenbissigkeit erkennen ließen (bei Diven weiß man ja nie...), sondern wirkten wie BFFs.

Der enge Zeitplan lässt leider nur zwei Lieder von Glass Animals zu, die aber so mitreißend tanzbar und überweltlich sind, dass ich noch geknickter darüber bin, ihren Gig in München ein paar Tage zuvor verpasst zu haben.

The Molochs, zu denen wir im Anschluss pilgern, sind ein Rohdiamant im Retro-Stil, den man in einem Antiquitätenladen in der Sektion mit 60er-Jahre-Memorabilia finden könnte.  

Aus einem Antiquitätenladen stammen auch die Afghan Whigs, aber nicht so sehr wegen ihres Musikstils, sondern eher wegen ihres Alters. Das lassen die Urgesteine aus Cincinnati sich aber keineswegs anmerken, sondern rocken wie in ihren besten Tagen, die offenbar noch lange nicht hinter ihnen liegen. Unsere dagegen schon, deswegen beschließen wir mit den alten Herren des Rock diesen Festivaltag.

 

Freitags bezaubert die brasilianische Sänger- und Songwriterin Tiê uns mit ihrer warmen Stimme und Melodien, die zum Tagträumen einladen. Auch mit ihr haben wir gesprochen (s. Film).

Die israelischen Shoegazer von Vaadat Charigim sagen leider im letzten Moment das Interview ab und ohne nachtreten zu wollen, ist hier das Motto: No Love Lost. Denn musikalisch hätte ich etwas Inspirierteres erwartet und auch an ihrer Bühnenpräsenz können sie sicher noch etwas feilen.

Die drei schreienden, alten Männer von Shellac erheitern dagegen mit ihren dreckigen Mundwerken und ebensolchen Gedanken. Doch sie sind nicht nur extrem anzüglich („Ich würde jeden von euch durch****** bis mein ******* aussieht wie rohes Hamburgerfleisch“, mhm, yummy!) sondern noch viel mehr: sie sind Dadaisten, Clowns, Philosophen und liebenswerte Freaks. Ihre Musik ist kaum einzuordnen. Belassen wir es also einfach bei expressivem Gitarrenrock.

Als Nächstes auf der Liste noch mehr Herren, die am Rentenalter kratzen. Auch ihnen merkt man die Jahrzehnte nicht an, die sie schon auf den Bühnen der Welt rumtingeln. Im Gegenteil: Arab Strap liefern eine Sound- und Lichtorgie, die mich in andere Sphären katapultiert, aus denen ich aber leider abrupt in die Realität zurückgerissen werden, denn wir müssen weiter zum heutigen Headliner: The XX.

Denen merkt man in der ersten Hälfte ihres Auftritts spürbar die Erschöpfung einer anstrengenden Tour an und es will sich kein organisches Zusammenwirken einstellen. Doch nach etwa einer halben Stunde können sich Romy Croft und Oliver Sim dann doch nicht mehr der Welle des Enthusiasmus’ erwehren, die ihnen aus den Reihen des Publikums entgegenbrandet und ihre Spielfreude taucht wieder auf. Meiner Befürchtung, sie seien keine gute Festivalband, entziehen sie damit dann auch jegliche Grundlage.

 

Der letzte offizielle Festival-Tag auf dem Fòrum beginnt mit etwas ganz Ausgefallenem. Desert Bluesrock aus Nord-Mali. Die Mitglieder von Songhoy Blues mussten während des bewaffneten Konflikts in ihrem Heimatland von Timbuktu nach Bamako fliehen, wo sie sich als Band fanden mit dem Ziel  "... die verlorene Stimmung des Nordens auferstehen zu lassen und den Flüchtlingen aus dem Norden ihre Musik wiederzugeben“. Unterstützung bekamen sie seitdem von keinen Geringeren als Damon Albarn, Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs) und Julian Casablanca (The Strokes). Weit entfernt von Weltmusik rocken die vier Jungs die Bühne, als gäbe es kein Morgen und bewegen mit ihrer Spielfreude das Publikum sofort zu ausgelassenem Klatschen und Tanzen. 

Eine ähnlich schwierige Biografie bringen die Gründer der Swet Shop Boys mit, die wir als Nächste live auf der Bühne erleben. Der Rapper Heems ist indischer Herkunft, während sein Kollege Riz MC pakistanische Wurzeln hat. Beide im Westen (USA und Großbritannien aufgewachsen) sehen sie sich dennoch tagtäglich dem post-9/11 Rassismus ausgesetzt und schlagen mit ihrer Kollaboration Brücken zwischen den verfeindeten Staaten. Einen ausführlichen Bericht zu ihrem Auftritt findet ihr hier.

Die Elektro-Pop Formation Metronomy hat mit Politik mal so gar nichts am Hut. Sie geht in die Beine und macht einfach Spaß. Genau wie der amerikanische Singer/ Songwriter Hamilton Leithauser (ehemals The Walkmen), dessen Refrains man bereits nach dem ersten Hören mitsingen kann und der sein Publikum beschwingt und mit einem guten Gefühl in die Nacht entlässt.

Unsere letzte Band auf dem Festivalgelände und einer der Headliner des Abends sind Arcade Fire. Leider bekommen wir von der Bühnenshow kaum etwas mit, weil die Monitore nicht wie gewohnt links und rechts neben der Bühne hochgezogen werden. Zugegebenermaßen ist es recht windig, aber das hätten die Leinwände sicher ausgehalten. Als sie zu den beiden letzten Liedern noch auf Halbmast gehisst werden, bringt das auch nicht mehr viel. Dazu erinnern die Lieder vom neuen Album verdächtig an ABBA, was die Befürchtung schürt, die unkonventionellen Kanadier könnten mit ihrem aktuellen Werk ins seichte Pop-Universum abgedriftet sein.

 

Der letzte Tag auf dem Fòrum ist jedoch nicht der letzte ohne Musik. Im CCCB, dem Zeitgenössischen Kulturzentrum von Barcelona, spielen am Sonntag noch verschiedene Bands, von denn wir uns selbstverständlich Muñeco ansehen, die uns so bereitwillig ihre Heimatstadt gezeigt haben und die auch musikalisch, nicht nur als Reiseleiter überzeugen, und LVL UP, die wir bereits auf dem offiziellen Festival erlebt haben, aber die es durchaus wert sind, das man sie sich noch mal anhört.

 

Viel gesehen, gehört, entdeckt, erlebt! Aber wie das auf Festivals so ist, können wir uns leider nicht alles ansehen, was uns interessiert, deswegen blieben diese Bands/ Künstler außen vor:

BANDS, die wir leider verpasst haben

APHEX TWIN 

BADBADNOTGOOD 

BON IVER 

CHK CHK CHK 

CIGARETTES AFTER SEX 

DESCENDENTS 

FRONT 242 

GRACE JONES 

GRANDADDY 

HER LITTLE DONKEY 

INNERCUT 

IOSONOUNCANE

JAPANDROIDS 

KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD 

LET’S EAT GRANDMA 

POND 

RUN THE JEWELS 

SAINT ETIENNE  

TEENAGE FANCLUB  

THE DAMNED 

THE MAGNETIC FIELDS 

THE MAKE-UPS 

THE MYSTERY LIGHTS 

THE WATERPARTIES 

THE WEDDING PRESENT 

THE WHEELS

THE ZOMBIES 

TUFF CITY KIDS 

VAN MORRISON

 

Fakten

Datum: 31. Mai-4. Juni 2017
Ort: Barcelona, Spanien 
Besucher: 150.000
Ausverkauft

 

Unser Urteil

Line-up: ★★★★ 

Setting: ★★★★★

Organisation: ★★★★★

Essen: ★★★★★

Publikum: ★★★★★

 

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